“Illegale Helfer“ von Maxi Obexer
(Mitarbeit: Lars Studer)

Der Grad der Präsenz dieses EINEN Themas im medialen Diskurs der letzten Monate ist bemerkenswert – aber auch außergewöhnlich, wie sehr es in die Sphäre des Privaten eindringt. Ob man mit Freunden beisammen sitzt, in der Mittagspause mit Kollegen, oder zuhause am Küchentisch – DAS kommt garantiert zur Sprache: Die derzeitige Migrationsbewegung!
Auf die eine oder andere Weise hat dieses Thema Eingang gefunden in die Gemüter einer gesamten Gesellschaft! Das ist keineswegs eine selbstverständliche Reaktion, dass Alle etwas interessiert. Zum letzten Mal war das vielleicht bei den Anschlägen in New York 2001 der Fall. Und über andere, nicht minder große Flüchtlingsbewegungen, z.B. im Afrika der 2000er Jahre, wurde sich weitaus weniger Gedanken gemacht. Etwas hat sich plötzlich in eklatantem Maße in der öffentlichen Wahrnehmung verändert. Die Macht des Diskurses, auch die politische Gefahr, die von ihm ausgehen kann, ist uns durch Foucault und Barthes bekannt. Unlängst hat Peter Sloterdijk in einem TV-Gespräch darauf hingewiesen, wie beengt, wie eingefahren und selbstreferentiell die eigene Betätigung im Diskurs auch verlaufen kann. In welcher Weise können wir vom Theater uns also an der Betrachtung des Flüchtlingsthemas beteiligen? Was können wir zu dem Diskurs-Puzzle an Meinungen und Haltungen beitragen, ohne vorgefertigte Muster zu bedienen?
Wie kann sich das Theater zu diesem Über-Thema unserer Tage äußern?
Vorliegender Theatertext „Illegale Helfer“ nähert sich aus einer Blickrichtung. Er folgt, der Titel verrät es, dem Narrativ derjenigen, die helfen wollen. Nicht Jeder mag helfen, das sehen wir. Andere haben Angst. Sie kommen hier nicht zur Sprache. Ein anderes Stück mag andere Meinungen, andere Aspekte in den Vordergrund stellen. Maxi Obexers Text kann man dennoch keine einseitige Betrachtung vorwerfen. Die Autorin hat etwas Überzeugendes geschaffen, in dem sie innerhalb einer vermeintlich bekannten Helfer-Position Neues, Unerwartetes beschreibt. Sie zeigt uns einen Ausschnitt paradoxer, brutaler Realität, den unsereins als Otto-Normal-TV-Seher nicht kennt, weil er im medialen Diskurs weitestgehend unbeachtet (bis verschwiegen?) bleibt.
Diese illegalen Helfer setzen sich für Menschen ein, die ihnen zwar fremd sind, die sie aber ganz nah an ihr eigenes Leben heran lassen, weil sie Hilfe benötigen – und sie tun dies unter Inkaufnahme von Rechtsverstößen. Sie setzen die individuelle, moralische Integrität über die des braven Staatsbürgers.
Um Skeptikern gleich den Wind aus den Segeln zu nehmen: Hier springt keiner auf den Emotionszug auf, weil es gerade angesagt ist. Schon gar nicht diese Autorin, für die das Thema „Festung Europa“ nicht erst jetzt hervorpoppt, sondern die sich dafür schon länger kritisch interessiert. Dies Stück ist auch nicht DAS Stück zur Flüchtlingskrise. Der Text ist eine Momentaufnahme und liefert einen Teilmoment – nicht mehr aber auch nicht weniger! Damit vermeidet er den moralischen Zeigefinger und die Gefahr des vermessenen Anspruchs, das Theater habe den relevanten Zugriff zum Über-Thema stets parat.
Verändernde Zeiten?
Ob von nun an „nichts mehr so sein wird, wie es war“, wie Einige schon gerne apostrophieren, werden wir in einigen Jahren wissen. Auch ohne die große Zeit der Umwälzung im Allgemeinen erkennen zu wollen – im Kleinen, im Persönlichen hat sich bei einigen Menschen die vergangenen Monate über bereits sehr viel verändert. Gesellschaftliche Prozesse sind keine Frage von Theoremen am Reißbrett. Auch wenn die Makroebene der Politik, wie die Soziologen es nennen, durch Maßnahmen darauf Einfluss nehmen kann. Der Prozessverlauf bedingt sich durch das konkrete Verhalten Einzelner. Mögen die meisten von uns in ihrem Alltag keinen persönlichen Berührungspunkt zu einem der Menschen auf der Flucht haben und sich das eigene Meinungs-, Angst- oder Empathie-verhalten eher aus dem Mediendiskurs speisen. Für viele Andere aber ist die „Flüchtlingskrise“ zu einer Frage ihres persönlichen Alltags geworden.
Das Thema hat sich von der Makro-ebene der Politik auf viele neue Mikro-bereiche in unserer Gesellschaft verlagert, ja, manche erst entstehen lassen. Ob Polizisten, Sozialhelfer, Organisationsteams, Logistiker, Anbieter von „Sicherheitslösungen“ oder „Verpflegungspackages“: Für viele Menschen sind neue Einsatzräume, Aufgaben und Verantwortlichkeiten entstanden, die es bis vor einem halb/dreiviertel Jahr de facto noch nicht gab. Manche Menschen entwickeln neue Geschäftsideen. Andere nehmen die eigene Überzeugung als moralischen Gradmesser für Ihr außerberufliches Engagement.
Unbekannte Realität
Eine dieser sozialen Gruppen, die es vielleicht noch gar nicht solange gibt in unserer Gesellschaft, stellt uns Maxi Obexer mit ihrem brandaktuellen Stück vor – tatsächlich einem der spannendsten Theatertexte zum Thema. Der Text zeugt und bezeugt eine wohl nicht kleine Gruppe von Individuen, die sich für soziales Handeln entschieden haben. Es ist ein Handeln im Stillen. Gegen den Willen des Staates, der anderswo immer noch darum ringt, ob und wie oder wann man am besten handelt. Und das was wir da lesen, findet wirklich statt und genau in diesem Moment, ohne, dass die Öffentlichkeit viel über das darin liegende Dilemma zwischen Recht und Mitgefühl ahnt.
Ein Theatertext wird immer dann spannend, wenn er Widersprüche aufzeigt, neue Zusammenhänge freilegt, wenn er keine naheliegenden erzählerischen Klischees bedient. Erst recht, wenn er wie hier unter Verwendung von Interviewmaterial ein hohes Maß an Authentizität verspricht. So ist eine erstaunliche Entdeckung beim Lesen, die Figur (= reale Person) des Verwaltungsrichters, der sich zwischen offizieller und moralischer Richtschnur entscheiden muss. Ein überraschendes Statement stammt vom „deutschen Studenten Florian“, der am besonders starken Ende dieses Stückes den Grad seines persönlich investierten Risikos relativiert und darin, so könnte man es verstehen, fast eine Banalität des Helfens entdeckt.
Man kann die Inkognito-Protagonisten des Stückes nicht einfach als Gutmenschen abtun. Es wird deutlich, es sind Menschen wie Du und ich. Menschen aus unterschiedlichen sozialen Schichten, Alters und biografischen Zusammenhängen. Sie haben unterschiedliche Beweggründe, jede(r) seine eigene Motivation, sich für die Flüchtlinge einzusetzen. Gerne hätte man noch mehr über diese Menschen selbst erfahren oder sie noch stärker in Widerstreit mit kritischen Gegenstimmen gesetzt. Auch, um als Leser/Theaterzuschauer stärker gezwungen zu werden, die eigene Überzeugung in dieser Sache auf den Prüfstand zu stellen. Die Regie hat hier Gelegenheit, ihr Übriges zu tun. Auch deshalb ist es dieser Text wert, auf die Bühne zu kommen!
Der Verdienst dieses Stückes, dieser investigativen Unternehmung von Maxi Obexer ist es, diesen ungewöhnlichen Helfern eine Stimme und damit eine Existenz zu geben – Und dem Theaterzuschauer eine Denkaufgabe für den Heimweg aus dem Theater. Letztlich auch: Eine politische Frage zu stellen nach den gesetzmäßigen Bahnen innerhalb derer wir handeln sollen, in einer Zeit voller jener neuen Ereignisse, mit der sich unsere europäische Gesellschaft so schockhaft plötzlich konfrontiert sieht. Obexer wirft ein Licht auf einen Teil eines unübersichtlichen Diskurses, über den wir bisher noch nichts erfahren haben. Sie hilft, das Bild vielseitiger zu machen – und umso vielfältiger, desto eher ist es an der Realität dran, die wir so sehr begreifen wollen.
Christian Mayer, Graz
BIOGRAPHISCHES:
MAXI OBEXER wurde in Brixen, Südtirol, Italien geboren.
Sie lebt heute in Berlin und Südtirol und ist Autorin von Theaterstücken, Hörspielen, Erzählungen und Essays.
Ausserdem ist sie Mitbegründerin des Neuen Institut für Dramatisches Schreiben (NIDS). www.nids.eu
2011 erschien ihr erster Roman „Wenn gefährliche Hunde lachen“.
Sie hat zahlreiche Förderungen und Preise erhalten, u.a.der Akademie Schloß Solitude, des Collegium Budapest, des LCB Berlin und der Akademie der Künste Berlin.
Sie hat bereits am Deutschen Literaturinstitut Leipzig, der UdK Berlin und in den USA unterrichtet und war auch als Dramaturgin tätig.
Ihre Stücke sind über www.schaefersphilippen.de zu beziehen.
Homepage der Autorin: www.m-obexer.de
EURODRAM wird „Illegale Helfer“ ins Bulgarische übersetzen lassen. Die Übersetzerin ist Gergana Dimitrova.
Gefördert vom Deutschen Literaturfonds.