Nicole Desjardins wird « DEINE HELDEN – MEINE TRÄUME » (Verlag für Kindertheater) von Karen Köhler im Auftrag von EURODRAM ins Französische übersetzen.
Hier je eine Stellungnahme von Übersetzerin und Autorin zum Stück, das Teil einer Trilogie ist.

Karen Köhler (Autorin):
„Deine Helden –Meine Träume ist ein Auftragswerk des Deutschen Nationaltheaters Weimar. Meine Arbeitsaufgabe war es, das Thema Rechtsextremismus zu bearbeiten. Meine Idee war es, daraus eine Miniserie aus drei Stücken zu machen, die jeweils eine Spielzeit nacheinander aufgeführt werden sollten. Wobei der Spielort und die Anzahl der Schauspieler bereits vom Theater vorgegeben waren.
Das erste Stück sollte ein Klassenzimmerstück für eine Person sein, und den Auftakt bilden. Das zweite Stück ein 3-Personen-Stück, das im Theater gezeigt wird, und das dritte wiederum ein Klassenzimmerstück.
Wir wollten das junge Publikum in den Schulen abholen, sie ins Theater bringen und wieder in der Schule enden. Das hat sehr gut funktioniert. Die Trilogie läuft 2016/17 in der 4. Spielzeit am DNT Weimar.
Deine Helden – Meine Träume lebt davon, dass das Klassenzimmer als realer Raum ohne theatralen Überbau funktioniert. Es ist sehr interaktiv und kommt nah an die Schüler*innen ran. Das wäre im Theater schwerer möglich. Man müsste die Zuschauer*innen-Situation so aufbrechen, dass keine Trennung zwischen Spiel- und Zuschauerebene vorhanden wäre.
Jonas, die Hauptfigur, kommt in sein ehemaliges Klassenzimmer zurück, und das Umfeld, das Erinnerungen auslöst, lässt ihn seine Geschichte erzählen.
Im zweiten Teil HELDEN! Oder warum ich einen grünen Umhang trage und gegen die Beschissenheit der Welt ankämpfe sind die Figuren, über die Jonas im ersten Teil der Trilogie spricht, auf der Bühne: Jonas, Jessica und Mo tragen -Jahre später- die alte Geschichte auf der Bühne miteinander aus. Auch hier wird der Bühnenraum als der Raum bespielt, der er ist: eine Bühne.
Im dritten Teil III Helden: Stadt. Land. Traum. steht Jessica dann als Referendarin in der Turnhalle vor ihren Schüler*innen. Und von einer Parole in der Pausenhalle ausgehend dröselt sie das Thema Fremdenfeindlichkeit und die Flüchtlingspolitik Europas auf. Bei dem Versuch, herauszufinden, wer die Parole geschmiert hat, überschreitet sie Grenzen und führt schließlich ein Experiment mit den Schüler*innen durch, bei dem es um Wahrnehmung des Gegenübers geht. Auch dieses Stück ist speziell für die Schule konzipiert und schwer auf den klassischen Bühnenraum übertragbar.
Zusammen funktionieren die drei Teile als eine Miniserie, die sich um den Themenkomplex Helden-Freundschaft-Liebe-Vertrauen-Fremdheit rankt und jeweils den Ort, an dem sie spielen konkret aufgreifen. Jeder Teil funktioniert auch als Solotheater-Erfahrung, man muss die beiden anderen Teile nicht kennen, um inhaltlich folgen zu können.
Die Entstehung des ersten Teils habe ich auf der Seite www.deine-helden-meine-traeume.de dokumentiert. Alle Figuren der Trilogie sind aus Interviews und Antworten auf den Fragebögen entstanden. Ich habe mit über 100 Jugendlichen zusammengearbeitet und das Thema Rechtsextremismus verdeckt recherchiert, um nicht eine vorgefertigte Meinung abzufragen, oder im Vorfeld zu politisieren und dadurch manipulierte Antworten zu erhalten.
Der Erste Teil der Trilogie läuft mittlerweile an mehreren Theatern im deutschsprachigen Raum. Das Theater Konstanz ist das erste Theater nach dem DNT Weimar, das nicht nur den ersten Teil nachspielt, sondern auch den zweiten. Das macht mich sehr froh und zeigt mir, dass Theater auch nachhaltig sein kann. Wir Autor*innen leben davon, dass unsere Stücke nicht nur uraufgeführt werden, sondern auch vom Mut der Theater, die unsere Arbeit zweit-, dritt- und viertaufführen.
Umso dankbarer bin ich EURODRAM für die Möglichkeit, Werke sprachübergreifend in Europa zu verbreiten und in einen Austausch zu geraten. Das trägt einen wichtigen Teil zum europäischen Kulturverständnis bei. Wir dürfen uns in der Kunst nicht auf den nationalen Raum zurückziehen, dafür sind die ökonomischen und sozialen Beziehungen der Welt viel zu komplex geworden. Wir können aber das große Dilemma am Beispiel des Kleinen zeigen.“
Nicole Desjardins (Übersetzerin):
„Man könnte fast sagen, dass Deine Helden – Meine Träume ein Boxkampf in Textform ist, aufgeteilt in zehn Runden. Der Darsteller achtet die ganze Zeit auf das Timing, denn länger als eine Stunde soll das Erzählen seiner Geschichte nicht dauern. Er händigt sogar jemand im Publikum sein Telefon aus, mit dem Auftrag, genau auf die Zeit zu achten.
Auch andere Bezüge zum Sport gibt es: Es geht um allgemeine Sportethik, aber auch um konkrete Bewegungsabläufe beim Boxen. Und darum, wie wichtig es ist, beim Boxen seine privaten Gefühle niemals mit in den Ring zu nehmen.
Wir befinden uns allerdings nicht im Ring. Wir befinden uns nicht mal auf einer Bühne. Wir befinden uns in einem normalen Klassenzimmer mit Schultischen und Tafel, und die anvisierte Stunde entspricht in etwa der Dauer einer Schulstunde. Das Stück wird also direkt vor Schülern und Lehrern gezeigt. Der Schauspieler ist bereits im Raum, wenn die Zuschauer kommen. Die Schüler merken da sicher auf : Da sitzt plötzlich ein Fremder in ihrer Klasse.
Die im Stück verwendete Sprache ist Alltagssprache, keine Kunstsprache. Der Ton ist natürlich und zeitgemäß und gibt dem Monolog einen spontanen Gestus.
Der Titel Deine Helden – Meine Träume kann auf mehreren Ebenen gelesen und verstanden werden: Der Junge, um den es in dem Stück geht, Jonas, verliert sehr früh seinen Vater und erfährt erst später, dass der Vater als Jugendlicher geboxt hat. Daraufhin meldet er sich auch zum Boxtraining an. Er sucht und braucht ein Vorbild. Beim Training lernt er dann Mo kennen, dem er nachzueifern versucht, da Mo ein sehr guter Boxer ist. (Ist sein Name vielleicht sogar eine Anspielung auf Mohammed Ali?).
Außerhalb des Rings sehnt sich Jonas danach, seiner Mutter besser helfen zu können, die mit einem gewalttätigen Mann mit Alkoholproblemen verheiratet ist. Er wünscht sich, ein Superheld zu sein, genau wie die Figuren aus seiner Kindheit.
Aber diese Träume verwirklichen sich natürlich nicht…
Stattdessen trifft er auf einen falschen Helden, einen Verführer: Haiko. Jonas lässt sich auf ihn ein, er ist nett, cool, etwas älter und außerdem der Bruder des Mädchens, in das Jonas unglücklich verliebt ist. Jonas folgt Haiko wie dem berühmten Rattenfänger im deutschen Märchen.
Und als sich zu seinem Liebeskummer auch noch rasende Wut auf seinen besten Freund Mo gesellt, der als «Fremder» ohnehin eine gute Zielscheibe für Hass und Spott ist, gerät Jonas schnell in einen Teufelskreislauf. Jonas weiß eigentlich, wohin Nationalismus und Rassismus führen können, aber als er selbst in eine entsprechende Situation gerät, erkennt er die Gefahr nicht sofort.
Inhaltlich schneidet der Text Themen und Ängste an, die in Deutschland (aber nicht nur in Deutschland) immer wieder eine große Rolle spielen. Die Frage nach den Gefahren, die vom Nationalismus ausgehen. Die Angst vor dem Fremden. Die Auslöser in privaten Biografien, die zu einem schleichenden Abrutschen in Gewalt führen können.
Es wird immer Diktatoren wie Hitler geben oder andere gefährliche Verführer. Heute heissen sie vielleicht Daesh oder «Islamischer Staat».
«Meine Träume» bleiben also die Träume eines Jugendlichen, der auf schmerzhaftem Weg und durch einen großen Irrtum etwas ganz Entscheidendes fürs Leben lernt. Und seine Erfahrungen nun mit anderen teilen möchte, um zu verhindern, dass sie in dieselbe Falle gehen.
Ein berührender Text, der besonders für Jugendliche sehr geeignet ist.
Deshalb freue ich mich, dieses Stück ins Französische übersetzen zu dürfen. Aber auch als Regisseurin spricht es mich an, ich hätte Lust, es vielleicht später selbst zu inszenieren. Für einen Schauspieler ist die Rolle von Jonas ein Geschenk.“
BIOGRAFISCHES:
Karen Köhler wollte Kosmonautin werden, hat Fallschirmspringen gelernt und Schauspiel studiert. Nach vielen Jahren im Schauspielberuf, schreibt sie mittlerweile Theaterstücke und Prosa.
Nicole Desjardins ist Schauspielerin, Regisseurin, Autorin und Übersetzerin (Deutsch-Französisch) und lebt in Paris. http://www.cievuesurjardin.com