PORTRÄT: Simona Semenič

Die slowenische Autorin Simona Semenič zeichnet in „sieben köchinnen, vier soldaten und drei sophien“ ein sprachgewaltiges, poetisches Psychogramm von Krieg und Widerstand, das zeitlos wirkt, aber dennoch hochaktuell ist.

Ein Gespräch mit der Autorin und der Übersetzerin Urška Brodar.

Simona Semenič
Die slowenische Autorin und Performerin Simona Semenič

Simona, können Sie uns beschreiben, wie der Text entstanden ist? Arbeiten Sie normalerweise mit einem Regisseur oder einer Regisseurin zusammen, wenn Sie ein neues Stück entwickeln?

Simona Semenič: Das Stück war ein Auftragswerk des Stadttheaters Ljubljana, die einzige Vorgabe, die ich bekam, war, dass es etwas mit Sophie Scholl zu tun haben sollte. Ich las viel über Sophie Scholl und recherchierte dann über einige andere bemerkenswerte Frauen aus der Zeit des 2. Weltkriegs, zum Beispiel Irene Sendler und Simone Weil. Die Ursprungsidee war also der 2. Weltkrieg. Aber dann wurde mir klar, dass das nicht die Form von Geschichte war, die ich erzählen wollte. Ich wollte über die Mechanismen des Krieges im Allgemeinen schreiben. Und nicht nur über die Mechanismen des Krieges, sondern über den Druck, den die Gesellschaft auf außergewöhnliche Individuen ausübt.

Ich habe beim Schreiben des Stücks nicht mit einem Regisseur zusammengearbeitet, das mache ich sonst auch nicht. Ich besuche für gewöhnlich auch keine Proben. Ich überlasse mein Stück lieber den Theatermachern, damit sie es so interpretieren können, wie es für die Aufführung am sinnvollsten erscheint. Ich habe auch kein Problem damit, wenn sie das Stück verändern. „sieben köchinnen…“ wurde zum Beispiel um 60% gekürzt.

Welche Idee stand am Anfang des Stücks?

Simona Semenič: Eigentlich wollte ich ein Stück über meine Großmutter schreiben. Sie hat ebenfalls im 2. Weltkrieg gekämpft, aber sie blieb namenlos, eine unter vielen Tausend anderen Frauen. Nach dem Krieg kehrte sie nach Hause zurück, zog Kinder groß, arbeitete, kümmerte sich um den Haushalt, die Kämpfe des alltäglichen Lebens. Niemand spricht über diese Frauen oder denkt an sie, wir sprechen über Helden, wir bauen Denkmäler für sie, aber dennoch leben weit mehr Helden unter uns, als wir uns das bewusst machen. Für das Stadttheater Ljubljana konnte ich diese Idee nicht umsetzen, das habe ich dann in meinem nächsten Stück getan – „We, the European Corpses“.

Sie verwenden nur Kleinschreibung in Ihrem Text. Welche Bedeutung hat das für Sie?

Simona Semenič: Es hat nicht nur eine Bedeutung. Ich fing an, so zu schreiben, als ich 2007 meinen ersten autobiographisch geprägten Monolog „I, the Victim“ entwickelte. Ich schrieb den Text eigentlich für mich, ich wollte ihn auch selbst spielen und Regie führen. Am Anfang verwendete ich ganz normal Groß- und Kleinschreibung. Aber dann wurde mir klar, dass ich das Stück nicht für mich, sondern doch für eine Schauspielerin schreibe. Das war seltsam, nicht einfach zu erklären. Als ich dann mit dem Schreiben wieder am Beginn anfing, gab es keine Großschreibung mehr. Ich schrieb den Text als eine Art Gedicht. Und dann behielt ich das bei.

In meinen Augen bleibt für den Leser so mehr Raum, die einzelnen Sätze zu interpretieren. Wenn ich das Gefühl habe, ein Fragezeichen oder Ausrufezeichen sind unbedingt nötig, dann notiere ich sie, sonst lasse ich auch das offen. Und als ich aufhörte, Großschreibung und Zeichen zu verwenden, die das Satzende markieren, veränderte sich auch der Rhythmus der Sätze, er wurde in meinen Augen lebendiger.

In der deutschsprachigen Theaterwelt wurde in der jüngeren Vergangenheit viel über den Begriff der Autorschaft und die Rolle des Autors im Theater debattiert. Wie würden Sie Ihre Position als Dramatikerin in der slowenischen Theaterszene beschreiben?

Simona Semenič: Slowenien ist ein sehr kleines Land mit einer kleinen Theater-Community, ich fände es unsinnig, von der Position der Dramatiker in unserer Szene zu sprechen. Aber ich würde mal sagen, die Lage, in der ich mich momentan als Dramatikerin befinde, ist so gut, wie sie eben sein kann – meine Stücke werden fast alle gespielt, Theater geben mir Schreib-Aufträge, ich habe bereits drei Grum-Preise erhalten (der Preis für das beste slowenische Stück), all das klingt natürlich toll und ist es auch. Ich sehe eher das Problem, dass ich in diesem Bereich in Slowenien kaum noch etwas anderes erreichen kann – und dennoch nicht über ein angemessenes Einkommen verfüge. So würde ich meine Position in der slowenischen Theaterszene beschreiben: Ich nehme jeden Job an, der mit geboten wird, um gerade so übers Jahr zu kommen.

Urška, Sie stehen als Übersetzerin gewissermaßen „zwischen den Sprachen“, außerdem kennen Sie die deutschsprachige Theaterszene gut. Können Sie beschreiben, was für Sie die wesentlichen Unterschiede zur Theaterarbeit in Slowenien sind?

Urška Brodar: Genau, ich habe die letzten 5 Jahre zwischen Berlin und Ljubljana gelebt und freischaffend als Übersetzerin und Dramaturgin gearbeitet. Der erste wesentliche Unterschied ist natürlich die Größe der Theaterszene. Slowenien ist ein Land mit knapp 2 Millionen Einwohnern, das ist die Hälfte von Berlin! Das slowenische Theatersystem ist wegen der Geschichte zwar ähnlich aufgebaut wie in den deutschsprachigen Ländern, wir haben Staats- und Stadttheater und eine professionelle freie Szene (vor allem in Ljubljana), die staatlich finanziert sind durch das Kulturministerium. Seit der Wirtschaftskrise 2008 werden jedoch die finanziellen Mittel der Kultur jedes Jahr gekürzt, was vor allem der freien Szene stark zu schaffen macht (auch die Kürzungen der Programmgelder der Staats- und Stadttheater treffen vor allem die Freischaffenden, denn die Gehälter des öffentlichen Dienstes kann man ja nicht so einfach runtersetzen). Die freie Tanzszene ist mittlerweile fast ausgestorben, was eine Schande ist, denn sie war seit den 90ern im Aufschwung und ist auch international bekannt. Und das obwohl wir seit zwei Jahren eigentlich wieder ein Wirtschaftswachstum haben.

Deutschland hat die letzte Krise nicht so richtig getroffen. In den letzten Jahren hat es die Berliner freie Szene geschafft, einen Landesverband der freien darstellenden Künste (LAFT) zu gründen, der sich für faire Arbeitsbedingungen und Bezahlung der Freischaffenden einsetzt und die Honoraruntergrenze bei 2.300 Euro pro Monat ansetzt. Wir haben zuletzt für ein Projekt in der freien Szene in Ljubljana 5.000 Euro bekommen, brutto, für alles! Natürlich beeinflussen die geringen Mittel auch die Inszenierungsmöglichkeiten. Es entstehen vor allem kleine Produktionen mit wenigen Performern in der freien Szene. Kaum Bühnenbild und Kostüme. Keine komplizierte Technik. Das ist nicht unbedingt schlecht, denn es entstehen starke inhaltliche Konzepte. Man konzentriert sich auf das Wesentliche. Aber man hat auch keine andere Wahl.

Wie sind Sie auf den Text von Simona gestoßen? Haben Sie bereits andere Texte von ihr übersetzt?

Urška Brodar: Ich kenne Simona schon ziemlich lange, seit ich das Dramaturgiestudium angefangen habe, also 2002. Damals war sie auch noch Dramaturgiestudentin. Ich erinnere mich, dass sie eine der wenigen war, die ihr Studium mit einem Stück abgeschlossen hat. Denn in Slowenien galt damals noch die Maxime, dass man als Dramatiker geboren ist oder eben nicht, man konnte es also nicht lernen. Wir hatten überhaupt keine praktischen Schreibkurse an der Theaterakademie, wie es in anderen Ländern üblich ist. In Slowenien waren noch vor kurzem alle Dramatiker Männer und vor allem kamen sie von der Literatur her, wenige waren oder sind auch Regisseure.

Das hat sich erst seit den letzten fünfzehn Jahren ein bisschen verändert. Und Simona ist eine der wichtigsten Akteurinnen auf dem Gebiet. Mit ihr war ich auch selbst bei einer Schreibwerkstatt, wo wir Kurzstücke geschrieben haben, die später sogar aufgeführt wurden. Und ungefähr in der Zeit (2004 oder 2005) hat sie mit noch ein paar Enthusiasten „PreGlej“ gegründet, aus einer Notwendigkeit heraus, dass man das Stückeschreiben lernen und in einer Gruppe in verschiedenen Arbeitsphasen besprechen kann. Und die Resultate sind heute sichtbar. Viele Stücke von den Autoren der Gruppe wurden aufgeführt und auch mit Preisen geehrt. Simona hat sich zu einer der meist gespielten Gegenwartsautorinnen entwickelt. Ich bewundere ihre Arbeit also schon von Anfang an.

Zum Übersetzen habe ich gerade dieses Stück ausgewählt, also „sieben köchinnen, vier soldaten und drei sophien“, weil ich finde, dass die Themen, die sie im Stück aufgreift, für die deutschsprachige Theaterlandschaft interessant sind. Wir haben mit „Periskop“, einem kleinen Kulturverein in Berlin, einen Abend mit Simona veranstaltet, eine Art Lesung, wo aber das Publikum selbst einen Abschnitt aus dem Stück vorlas und danach mit der Autorin ins Gespräch kam. Das Interesse war da und mir hat dann die Slowenische Buchagentur den Auftrag anvertraut, das ganze Stück zu übersetzen. Das ist eigentlich meine erste Übersetzung ins Deutsche. Das Ideal ist ja eigentlich, dass man als Übersetzer nur in seine Muttersprache übersetzt und nicht umgekehrt. Deswegen bin ich meinen beiden Tandem-Übersetzern Wolfram Lotz und Harriet von Froreich für ihre Hilfe bei der Endfassung sehr dankbar.

UrskaBrodar
Die Übersetzerin und Dramaturgin Urška Brodar. – Copyright: Dani Modrej

Das Gespräch führte Ulrike Syha.

Biografien.

SIMONA SEMENIČ (*1975) ist eine slowenische Dramatikerin und Performerin. Sie hat einen Abschluss in Dramaturgie der „Academy for Theatre, Radio, Film and Television (AGRFT)“ in Ljubljana.

Simona Semenič hat bereits drei Mal den Grum-Preis gewonnen, die höchste nationale Auszeichnung für zeitgenössische Dramatiker in ihrem Heimatland Slowenien. Das erste Mal gewann sie mit dem Stück 5boys.si (2008), das später in 12 Sprachen übersetzt und in verschiedenen Ländern in Europa, den USA und im Nahen Osten aufgeführt oder veröffentlicht wurde. Für 24hrs (2006) und Seven Cooks, four Soldiers and three Sophias (2014) („sieben köchinnen, vier soldaten und drei sophien“) gewann sie ebenfalls Preise bzw. wurde mit 1981 (2013) und This Apple, made of Gold (2016) dafür nominiert.

Weitere Stücke: You didn’t forget you just don’t remember anymore (2007), Feast (2010), Blame It All on Donnie Darko (2011), Sophia (2011), We, the European Corpses (2015). Auch Inszenierungen dieser Stücke wurden in Slownien und im Ausland mit Preisen ausgezeichnet.

Simona Semenič schreibt, inszeniert und performt außerdem experimentelle, autobiographische Theatershows, zum Beispiel 9 easy pieces (2007, mit der Gruppe Preglej),  I, the Victim. (2007), Do Me Twice (2009), 43 Happy Ends (2010, mit der Gruppe Preglej), Kapelj and Semenič Under Construction (2012, mit Barbara Kapelj), Bulc and Semenič For Sale (2013, mit Mare Bulc) und The Second Time (2014). Diese Shows wurden vom Publikum und der Kritik sehr gut aufgenommen und bei einigen Festivals im In- und Ausland gezeigt.

Simona Semenič arbeitet außerdem mit Ivan Talijančić, Janez Janša und anderen Theaterregisseuren und Choreographen als Co-Autorin und Dramaturgin zusammen.

Simona Semenič lebt mit ihren beiden Söhnen in Ljubljana.

www.simonasemenic.com

URŠKA BRODAR. (*1983) ist Dramaturgin und Übersetzerin. Als Dramaturgin arbeitet sie sowohl in der slowenischen freien Szene (z.B. Theater Glej, http://www.glej.si/en/) als auch in Nationaltheatern (z.B. Volkstheater Celje).

Als Übersetzerin mit der Sprachkombination Deutsch-Englisch-Slowenisch übersetzt sie vor allem Theaterstücke, z.B. Roland Schimmelpfennig: Vorher/Nachher, Wintersonnenwende, Katja Hensel: Kopf oder Zahl, Wolfram Lotz: Einige Nachrichten an das All, Die lächerliche Finsternis, Bertolt Brecht: Die Mutter, Der gute Mensch von Sezuan, Tankred Dorst: Merlin oder Das wüste Land und auch Poesie und Prosa, unter anderem die Graphic Novel über Johnny Cash von Reinhard Kleist: Cash I See A Darkness und Thomas Bernhards Kurzgeschichte Österreichischer Staatspreis für Literatur.

Sie war Redakteurin im ältesten slowenischen freien Theater Glej in Ljubljana und veröffentlicht Artikel über zeitgenössisches Theater im Theatermagazin Maska. 2014 war sie Teilnehmerin des Internationalen Forums beim Theatertreffen in Berlin. Derzeit ist sie als Dramaturgin am Mladinsko Theater (www.mladinsko.com)  in Ljubljana angestellt.