Übersetzungen der Auswahlstücke 2020 des deutschsprachigen Komitees

Die Stücke der Auswahl 2020 des deutschsprachigen Komitees wurden übersetzt oder werden noch übersetzt. Im Folgenden finden Sie einen Überblick und weitere Informationen. Bei Interesse stellen wir gerne den Kontakt zu den Übersetzer*innen her.

Christina Kettering, SCHWARZE SCHWÄNE

Galina Franzen (EURODRAM, deutschsprachiges Komitee) – Russisch; Förderung durch das Goethe-Institut Moskau

Elise Wilk (Autorin; Auswahlstück 2020 des rumänischsprachigen Komitees) – Rumänisch; Förderung durch das Goethe-Institut Bukarest

Charlotte Bomy (EURODRAM, deutschsprachiges Komitee)  – Französisch

Blazena Radas (EURODRAM, deutschsprachiges Komitee; Mitglied im Koordinator*innenteam) – Kroatisch

Pauline Wick (EURODRAM, deutschsprachiges Komitee) – Englisch; Förderung durch Translator Mentorship Program  

Sean Keller, UND

Nicole Desjardins (EURODRAM, deutschsprachiges Komitee) – Französisch

Gabriele Kögl, HÖLLENKINDER Heinz Schwarzinger (EURODRAM, deutschsprachiges Komitee) – Französisch

Insgesamt 7 Übersetzungen in 5 Sprachen (Englisch, Französisch, Kroatisch, Rumänisch, Russisch; davon 3 Mal Französisch) durch 7 Übersetzer*innen.

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Übersetzung des Stückes „Witenka und die anderen“ von Jurij Wladowskij durch Ruth Altenhofer

Ruth Altenhofer hat das Stück Witenka und die anderen von Jurij Wladowski aus dem Russischen ins Deutsche übersetzt. Autor und Übersetzerin haben ihr Einverständnis erteilt, dass das deutschsprachige Komitee für interessierte Verlage oder Theater den Kontakt herstellt. Nachfolgend können Sie über den Button „Herunterladen“ einige Informationen zu Autor und Stück lesen. Danach folgt ein Text von Ruth Altenhofer zum Stück und dann ein kurzer Auszug aus Witenka.

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Text von Ruth Altenhofer über Witenka und die anderen. Fantastische Komödie in zwei Akten und neunzehn Gesprächen von Juri Wladowski

In einem entlegenen russischen Dorf lebt Witenka mit seinem trinkenden Vater, der seltsame Figuren schnitzt, und seiner gehörlosen Mutter. Einen Tag, bevor er in die Stadt gehen will, um sich zum Piloten ausbilden zu lassen, ringt sich sein Vater endlich dazu durch, ihm zu eröffnen, dass er und Witenkas Mutter Außerirdische sind. Am selben Tag kommt ein Reisender namens Lipkin ins Dorf, der Witenkas Eltern zur Rede stellt: Wie konnten sie diese Tatsache nur so lange vor ihrem Sohn verbergen?

Mühsam kämpft sich Witenka auf der Suche nach der Wahrheit durch die chaotischen Gespräche, die auf diese Offenbarung folgen. Sein Vater und Lipkin geraten ständig in Streit: Während Lipkin das galaktische Imperium, dem sie entstammen, und ihre Mission auf der Milchstraße glorifiziert, sieht Witenkas Vater wenig Heldenhaftes darin, dass sie angesichts der Krise auf ihrem Heimatplaneten auf der Suche nach neuen Ressourcen Schiffbruch auf der Erde erlitten haben. Witenkas Mutter kommentiert wenig, sie ist, indem sie keine irdische Sprache beherrscht, fremd geblieben, und Witenkas Freundin Ljussja, die allein schon von Witenkas Plan, in die Stadt zu gehen, überfordert war, reagiert am misstrauischsten und wütendsten von allen und beschuldigt Lipkin der Scharlatanerie.

Die Szenen im Dorf wechseln sich ab mit Szenen auf fernen Planeten, wo die Beziehungen und Interaktionen auf der Erde in abstrakter Form von Aliens reinszeniert werden.

Witenka und die anderen lässt verschiedene Lesarten zu.

Der Text fügt sich wunderbar in den russischen Kosmismus des späten 19./frühen 20. Jh., eine religiös-philosophische Denkrichtung, die auf einem holistischen Weltbild basierte und die gegenseitigen Bedingtheiten, die Einheit des Alls, den Zusammenhang zwischen kosmischen und irdischen Prozessen bewusst machte und versuchte, den Platz des Menschen im Kosmos ausfindig zu machen.

Die Szenen lassen sich aber auch als metaphorische Variationen über Fremdheit und Entfremdung, über den Zusammenbruch von Weltbildern und das krampfhafte Festhalten an ebendiesen, über die Suche nach Erklärungen und Antworten und über Offenheit und Neubeginn verstehen.

Oder man versteht Witenkas Geschichte ganz banal: In der russischen Provinz wird einfach zu viel getrunken, und das Publikum darf sich (ganz ohne philosophischen Überbau) über den Säuferwahn der Landbevölkerung und ihre tölpelhaften Dialoge amüsieren.

 

Juri Wladowski: Witenka und die anderen

Fantastische Komödie in zwei Akten und neunzehn Gesprächen

                                          Für Polenka.

Erster Akt.

  1. Gespräch auf einem fernen Planeten.

Uferlose, steinige Landschaft. Ein Himmel voller Monde und Galaxien. Die Schwerkraft gering. Starke Strahlung. Bei einem kleinen Felsblock steht Falke. Er trägt einen schweren Raumanzug und in der Hand ein glänzendes metallenes Köfferchen.

FALKE. Der Mensch ist ein geselliges Wesen, vernunftbegabt und mit Bewusstsein ausgestattet, zudem Subjekt gesellschaftlich-historischer Aktivität und Kultur. Seine Existenz auf der Erde ist das Resultat eines Evolutionsprozesses – der Anthropogenese, die noch nicht in allen Einzelheiten erforscht ist. Zu den spezifischen Eigenschaften, die den Menschen von anderen Tieren unterscheiden, gehören der aufrechte Gang, das hochentwickelte Gehirn, das Denken und die artikulierte Rede.  

Der Mensch erforscht und verändert sich selbst und seine Umgebung, gestaltet seine Kultur und seine Geschichte. Die Essenz des Menschen, sein Ursprung und seine Bestimmung, der Platz, den er in der Welt einnimmt, waren und sind Grundprobleme von Philosophie, Religion, Wissenschaft und Kunst …

STIMME (gleichgültig). Hm. Interessant.

FALKE. Hier in diesem Handkoffer sind Festplatten mit allen Informationen zu unserem Planeten und seiner Zivilisation.

STIMME. Mhm. Lass mal hier.

Falke stellt das Köfferchen neben den Felsblock. Wartet. Eine Pause entsteht.

FALKE. Das Ziel meiner Mission …

STIMME. Moment …

Falke verstummt. Wartet. Die Pause wird unangenehm.

STIMME. Na?

FALKE. Das Ziel meiner Mission ist es, den Kontakt zu eurer Zivilisation auszubauen! Ihre Genese zu erforschen, ihre Kultur, ihre wissenschaftlichen Errungenschaften …

STIMME. War‘s das?

FALKE. Wie bitte?

STIMME. Mission erfüllt?

FALKE. Soll heißen?

STIMME. Das Gespräch ist beendet. Die Aufgabe erfüllt. Du kannst gehen.

FALKE. Nein, nein, nein! Moment! Wir haben den Kontakt erst hergestellt! Wir müssen …

STIMME. Gar nichts müssen wir.

FALKE. Aber was ist passiert? Habe ich Sie irgendwie verärgert? Wenn ja, dann entschuldigen Sie bitte! Vielleicht ist es ein Konflikt lexikalischer Begriffe … Ich werde versuchen …

STIMME. Hör mal, du bist mir unsympathisch, verstehst du? Mir ist dein blödes Getue zuwider und deine Überheblichkeit, dein unsinniger Pathos und deine kindische Begeisterung! Verzieh dich!

FALKE. Oh! Von wegen! Sie irren sich! Ich verehre Sie, Ihre Errungenschaften, Ihre Kultur unendlich …

STIMME. Davon rede ich ja. Was für eine Kultur, was für beschissene Errungenschaften? Wo siehst du Zivilisation? Ich bin nur ein Klumpen Schleim auf einem leblosen Stein hundert Lichtjahre vom nächsten erfundenen Rad entfernt! Und du bist ein Trottel und ein Nichts mit Minderwertigkeitskomplex und Größenwahn. Wo ist dein beschissenes Raumschiff?

FALKE. Da drüben.

STIMME. Dann verpiss dich von hier!  

  1. Gespräch im Haus.

Stube eines Bauernhauses. Die übliche ländliche Einrichtung, ein gemauerter Ofen, einfache Holzbänke und dergleichen. Vor den Fenstern Abend, Zikaden, Hähne. Witenka, ein achtzehnjähriger Bursche, sitzt am Tisch, liest und exzerpiert ein dickes Buch. Ihm gegenüber sitzt am anderen Tischende der Vater, ein magerer, sehniger Mann um die sechzig, und schnitzt mit einem Messer aus einem Holzstück eine bizarre Figur. Das Messer rutscht ab und schneidet den Vater in die Handfläche.

VATER. Sapperlot! 

WITENKA (ohne aufzusehen). Papa, man werkt halt im Suff nicht mit dem Messer herum! Immer dasselbe.

VATER. Schweinehund!

WITENKA (schreit). Mama! Papa hat sich schon wieder geschnitten!

VATER. Muss das sein!

Die Mutter kommt herein, eine Frau um die fünfzig, mit leidend-gleichgültiger Miene. Schweigend geht sie auf den Vater zu. Der streckt ihr die blutige Hand entgegen. Die Mutter wirft ihm ein Geschirrtuch hin, nimmt das Messer an sich, schnappt die seltsame Figur, die er geschnitzt hat, und wirft sie in die Ecke, wo schon ein Berg ähnlicher Basteleien liegt. Schon am Weggehen, kehrt sie noch mal zum Tisch zurück, holt eine Flasche unter dem Stuhl hervor, seufzt bitter und geht weg. Ächzend umwickelt der Vater seine Hand mit dem Tuch, sitzt eine Weile wankend da und hält seine verletzte Hand fest. Dann fällt seine Aufmerksamkeit auf Witenka.

VATER. Du bist schon richtig erwachsen!

WITENKA. Und wieso wundert dich das?

VATER. Schon komisch. Da war mal so ein Stöpsel, eine Laus, eine Made … Und auf einmal sitzt du da und stellst Ansprüche.

WITENKA. Was für Ansprüche denn? Wovon redest du?

VATER. Nur so. Das sagt man halt so.

WITENKA. Ach so.

Pause.

WITENKA. Pap. Was guckst du so?

VATER. Wie denn?

WITENKA. Komisch.

VATER. Nur so, ich schaue. Ich will sehen, was in dir drin ist.

WITENKA. Wie meinst du das?

VATER. So, wie ich es sage.

Pause.

VATER. Ich will schon lange mal mit dir reden.

WITENKA (reißt sich vom Buch los). Bitte.

VATER. Unterbrich mich nicht! Glaubst du, nur weil du erwachsen bist, kannst du deinen Vater einfach so mittendrin unterbrechen und ihn nicht ausreden …

WITENKA. Wer unterbricht dich denn?

VATER. Schon wieder.

Witenka liest weiter. Der Vater steht auf, geht im Zimmer umher. Bleibt bei dem Haufen Holzfiguren stehen, sieht ihn traurig an. Seufzt. Setzt sich wieder. Sieht seinen Sohn an.

VATER. Bestimmt ein interessantes Buch.

WITENKA. Ja.

VATER. Na, freilich. Ein Buch ist interessanter als mit dem Vater zu reden. Lies nur, mein Sohn, dass du gescheit und verständig wirst.

WITENKA (sieht seinen Vater aufmerksam an, legt das Buch weg). Weißt du, Pap, seit ich denken kann, willst du immer mit mir über etwas reden.

VATER. Und, was ist falsch daran, wenn der Vater mit seinem Sohn reden will?

WITENKA. Nichts. Aber du redest nie.

VATER. Wie denn das?

WITENKA. Ja. Du beginnst ein Gespräch, und dann brichst du es mit irgendeinem Vorwand ab, so geht das schon mein Leben lang …

VATER. Stimmt doch gar nicht.

WITENKA. Doch, das stimmt. Jedes Mal dasselbe. Also, reden wir. Komm, ich höre.

VATER. Aber was regst du dich so auf?

WITENKA. Ich reg mich nicht auf.

VATER. Doch, tust du! Ganz rot bist du geworden! Sprühst Funken aus den Ohren! Wie soll ich da gemütlich mit dir reden?

WITENKA. Alles klar.

VATER. Was ist dir klar?

WITENKA. Willst du reden? Du hast jetzt die beste Gelegenheit. Los, komm! Was willst du mir sagen? Wovon willst du erzählen, was soll ich wissen? Los, Papa! Ich warte schon mein Leben lang!

VATER. Ich will dir eine Sache erklären, aber du wirst es nicht verstehen …

WITENKA. Warum nicht?

VATER. Weil ich nicht weiß, wie ich dir das so erklären soll, dass du es verstehst.

WITENKA (böse). Versuch es doch! Streng dich an!

VATER. Mach ich nicht! Wie soll ich mit jemandem reden, der so drauf ist? Schau, dass du dich bis morgen beruhigst, dann nimmst du dich zusammen und dann reden wir.

WITENKA. Also morgen?

VATER. Wahrscheinlich. Morgen regst du dich ab und wir reden.

WITENKA. Aber wann morgen, Pap? In der Früh, am Abend?

VATER. Egal, wie du willst. Von mir aus in der Früh, von mir aus am Abend …

WITENKA. Alles klar.

VATER. Was ist dir klar?

WITENKA. Ich fahre morgen fort, Pap!

VATER. Wohin denn?

WITENKA. Was heißt, wohin? In die Lehranstalt.

VATER. Jetzt aber! Seit wann denn das?

WITENKA. Papa, du bist betrunken.

VATER. Wie sprichst du mit deinem Vater?

WITENKA. Papa! Hallo! Erde an Papa! Ich hab die Prüfung geschafft, die haben mich genommen … Was soll denn das Theater?

Pause.

VATER. Soso! Lehranstalt. Wie das schon klingt … Wie Lämmerstall.

WITENKA. Als ob du das zum ersten Mal hören würdest. Wir reden seit einem Jahr davon.

VATER. Was ist schon ein Jahr. Nichts. Husch – und weg ist es.

WITENKA. Ich gehe packen …

VATER. Bleib sitzen! Das wird jetzt durchgezogen. Ich erzähl dir gleich alles.

WITENKA. Und was erzählst du mir?

VATER. Das Geheimnis.

WITENKA. Was für ein Geheimnis?

VATER. Ein fürchterliches. Beinah ein Militärgeheimnis.

WITENKA. O Gott!

VATER. Siehst du, ich hab noch kein Wort gesagt, und du gehst schon in Opposition! Fährst die Krallen aus!

WITENKA. Ich höre konzentriert zu.

VATER. Konzentriert, sagst du? Ich werde dir gleich was erzählen, dass du mit den Ohren schlackerst! Hast du die Ohren gewaschen?

WITENKA. Papa!

VATER. Bereit?

WITENKA. Ja!

VATER. Also, hör zu. Weißt du noch, als Kind, wie du klein warst …

 

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