Französischsprachiges Komitee EURODRAM Auswahl 2021

Übersetzung: Wolfgang Barth

Das französischsprachige Komitee EURODRAM hat am Freitag, 12. März, über die Auswahl 2020/2021 aus den ins Französische übersetzten Theaterstücken entschieden. Es waren 94 Texte eingesandt worden, übersetzt aus 24 Sprachen. Nach eingehender Diskussion wurden gewählt:

CE QUE VIT LE RHINOCEROS LORSQU’IL REGARDA DE L’AUTRE CÔTE DE LA CLÔTURE [Was das Nashorn sah, als es auf die andere Seite des Zauns schaute] von Jens Raschke, übersetzt aus dem Deutschen von Antoine Palévody

FILLE [Girl / Mädchen] von Matt Harley, übersetzt aus dem Englischen von Séverine Magois

QUAND LA NEIGE TOMBERA [Cuando caiga la nieve / Wenn der Schnee fällt] von Javier Vicedo Alós, übersetzt aus dem Spanischen von Edouard Pons

Wir empfehlen die drei Stücke Fachleuten des französischen Theaters (Regisseur*innen, Herausgeber*innen, Theaterwissenschaftler*innen) mit dem Ziel der Verbreitung und Aufführung im französischen Sprachraum. Wir laden Sie herzlich ein, die Stücke kennenzulernen.

Zusätzlich haben aus der Gesamtzahl der Stücke von insgesamt hoher Qualität einige die besondere Aufmerksamkeit der Leser*innen des Komitees gewonnen. Über die begrenzte offizielle Auswahl hinaus empfehlen wir:

GRAVITE [Erdkêşî / Anziehungskräfte] von Mirza Metin, übersetzt aus dem Kurdischen von Atilla Balikci

ENFANTS DE L’ENFER [Höllenkinder] von Gabriele Kögl, übersetzt aus dem Deutschen von Henri Christophe

CE QUI MANQUE [Ono što nedostaje / Was fehlt] von Tomislav Zajec, übersetzt aus dem Kroatischen von Karine Samardzija

BAROUFE EN AUTOMNE [Bambule im Herbst] von Dirk Laucke, übersetzt aus dem Deutschen von Juliette Aubert-Affholder

PEAU D’ORANGE [Pomorandžina kora / Orangenhaut] von Maja Pelevic, übersetzt aus dem Serbischen von Marie Karas-Delcourt

LE CHAT DE SCHRÖDINGER [Pisica lui Schrödinger / Schrödingers Katze] von Alexa Băcanu, übersetzt aus dem Rumänischen von Lazarescou Alexandra

Die meisten dieser Texte wurden uns von ihren Übersetzer*innen vorgeschlagen. Mit deren Erlaubnis leiten wir Ihnen auf Wunsch gerne eines der Manuskripte weiter oder vermitteln Ihnen die Kontaktdaten ihrer Verlage.

AUSWAHL 2021

CE QUE VIT LE RHINOCEROS LORSQU’IL REGARDA DE L’AUTRE CÔTE DE LA CLÔTURE, Jens Raschke / Französisch von Antoine Palévody / Deutschland 2013 / Originaltitel: Was das Nashorn sah, als es auf die andere Seite des Zauns schaute / Übersetzung aus dem Deutschen 2019 / Gefördert von der Maison Antoine Vitez / Uraufführung 2015 am Deutschen Nationaltheater in Weimar / Erstaufführung in französischer Sprache geplant am Theater Biel (Schweiz) im Mai 2021

Ein junger Bär, der Held dieser Geschichte, wird von Jägern gefangen, von seiner Mutter und Schwester getrennt und landet in einem Zoo – dem Zoo des Konzentrationslagers Buchenwald. Dort erklärt Papa Pavian dem Bären die Lage: Die Tiere sind zur Unterhaltung der „Gestiefelten“ da, Flucht ist sinnlos, es ist verboten, sich Fragen über die „Gestiefelten“, die „Gestreiften“ und den Schornstein zu stellen, der hinter dem Zaun raucht…

FILLE, Matt Hartley / Französisch von Séverine Magois / England 2014-2015 / Originaltitel: Girl / Übersetzung aus dem Englischen 2018 / Gefördert von der Maison Antoine Vitez / Rechte bei Séverine Magois und United Agents, London / Uraufführung in Vorbereitung durch das Ensemble Lolium, Hauts-de-France

Der Erzähler des Stückes – der im weiteren Verlauf immer wieder die Dialoge unterbricht – setzt uns zu Beginn davon in Kenntnis, dass ein barbarischer Mord begangen wurde: Ein Kind („Mädchen“) hat einer schwangeren Frau in der Überzeugung, dadurch das Baby zu retten, den Bauch aufgeschlitzt. Später stellt sich heraus, dass „Mädchen“ nur das Vorgehen ihres Vaters bei der Geburt eines Kalbes wiederholte, bei der sie zugesehen hatte.

QUAND LA NEIGE TOMBERA, Javier Vicedo Alos / Französisch von Edouard Pons / Madrid 2016 / Originaltitel: Cuando caiga la nieve / Übersetzung aus dem Spanischen 2018 / Uraufführung 2017 am Espacio Guindalera (Madrid) / Veröffentlichung auf Französisch geplant bei Actualités Éditions

Einer Familie wird die Urne mit der Asche des Vaters gestohlen, die verstreut werden sollte. Sie stand auf dem Gehweg, während sie das Auto beluden. Der Dieb, der vermeintlich eine wertvolle Vase in seinen Besitz gebracht hatte, erkennt seinen Irrtum und wirft die Urne in einen Altkleidercontainer. Ein Angestellter des Entsorgungsunternehmens, seinerseits beauftragt, die Urne verschwinden zu lassen, handelt in bester Absicht: Er möchte dem unbekannten Verstorbenen eine „würdige Bestattung“ bereiten und verstreut die Asche vom Dach seines Hochhauses.

WEITERE EMPFOHLENE STÜCKE

GRAVITE, Mirza Metin / Französisch von Atilla Balikci / Köln 2018 / Originaltitel Erdkêşî / Übersetzung aus dem Kurdischen / Uraufführung 2018 in deutscher Sprache im Theater im Ballsaal in Bonn / Veröffentlichung 2021, L’espace d’un instant

Gravité beruht auf wahren Begebenheiten im Zusammenhang mit den an den jesidischen Kurden begangenen Massakern und dem schwierigen Leben der Kurden in der Diaspora. Das Stück erzählt die Geschichte einer von Krieg, Flucht, Entfremdung, grundlegenden Veränderungen, Faschismus und Vorurteilen bedrohten Liebe.

ENFANTS DE L’ENFER, Gabriele Kögl / Französisch von Henri Christophe / Wien 2019 / Originaltitel Höllenkinder / Übersetzung aus dem Deutschen 2020 / Erstsendung 2019, Österreichischen Rundfunk

Die Mutter wird 80. Ihre Kinder Leni und Johan (Vater unbekannt) bereiten ein schönes Fest vor. Die Familie trifft am nächsten Tag ein. Das Fest verwandelt sich schnell in einen Albtraum: Die Mutter weigert sich zunächst, die drängenden Fragen der geschichtsinteressierten Tochter nach der Vergangenheit zu beantworten, erzählt aber schließlich rückhaltlos die Wahrheit. Leni zeigt Familiendias aus der Kindheit mit dem Großvater, der Mutter, den Brüdern und Schwestern. Auf den Kommunionsfotos ist auch der Dorfpfarrer zu sehen…

CE QUI MANQUE, Tomislav Zajec / Französisch von Karine Samardzija / Kroatien 2014 / Originaltitel: Ono što nedostaje / Übersetzung 2018 aus dem Kroatischen 2018 / Gefördert von der Maison Antoine Vitez / Uraufführung 2018, ZKM, Kroatien

Zwei Schwestern müssen den Tod der Mutter verarbeiten, die sie kaum kannten. Die jüngere Tochter, von Beruf Psychologin, scheint besser gerüstet und beschließt, ins Krankenhaus zu fahren, um die letzten administrativen Formalitäten zu erledigen. Die zerbrechlichere ältere Tochter wird mit dem Tod der Mutter nicht fertig. Verbittert und dem Alkohol verfallen kommt sie mit ihrer Scheidung, die sie selbst wollte, nicht klar.

BAROUF EN AUTOMNE, Dirk Laucke / Französisch von Juliette Aubert-Affholder / Berlin 2017 / Originaltitel Bambule im Herbst / Übersetzung 2019 aus dem Deutschen / Gefördert von der Maison Antoine Vitez / Uraufführung 2017, Deutsches Nationaltheater Weimar

Immer wieder befasst sich Dirk Laucke in seinen Theaterstücken mit dem Schicksal der Verlierer der ehemaligen DDR. Mit bitterem Humor zeigt der Autor Sympathie und Empathie mit seinen Protagonist*innen, die in die Fänge eines zynischen Neoliberalismus geraten und bereit sind, buchstäblich alles zu tun, um durchzukommen.

PEAU D’ORANGE, Maja Pelević / Französisch von Marie Karas-Delcourt / Serbien 2005 / Originaltitel: Pomorandžina kora / Übersetzung 2017 aus dem Serbischen / Uraufführung 2016, Atelje 212, Belgrad

Modern und pointiert fordert „Peau d‘Orange“ heraus und wirft Genderfragen unserer heutigen Welt auf. Die Hauptfigur („Sie“) schwankt zwischen Depression, Revolte und Konformismus. Dem Diktat des von der patriarchalen Gesellschaft auferlegten Körperbildes unterworfen, bereit, alles zu tun, um anerkannt zu werden, oder als Mutter wider Willen, werden Frauen und ihre Weiblichkeit in Frage gestellt und sind hin- und hergerissen zwischen Befreiung und Unterwerfung. Sind Mann und Frau Partner oder stehen sie sich einander fremd gegenüber? Ist der andere nur ein Mittel zur Befriedigung der eigenen Wünsche und zum Erreichen eigener Ziele? Die Kraft des Textes liegt in der Beschreibung eines komplexen Systems in einfachem Ausdruck.

LE CHAT DE SCHRÖDINGER, Băcanu Alexa / Französisch von Lazarescou Alexandra / Rumänien 2018 / Originaltitel: Pisica lui Schrödinger / Übersetzung 2020 aus dem Rumänischen / Gefördert von der Maison Antoine Vitez / Uraufführung Oktober 2018, Theater Unteatru, Bukarest

Le chat de Schrödinger folgt dem psychologischen Weg Auroras, einer an Angst und Depression leidenden Person: vom Versuch, rational zu erfassen, was mit ihr geschieht, über die Mühe bei der Bewältigung einfacher Alltagsaufgaben bis hin zum Kampf um die Aufrechterhaltung eines Anscheins von Normalität.

Kontakt: 

Pénélope Dechaufour, Gilles Boulan  & Dominique Dolmieu
Comité francophone Eurodram
Maison d’Europe et d’Orient

gilles.boulan@wanadoo.fr
https://comitefrancophoneeurodram.wordpress.com/