Der Übersetzer Andreas Volk (Maria Wojtyszko, Fremdsprache, Auswahl 2021) über sich und seine Arbeit

Das erste Theaterstück, das ich übersetzte, hieß der „Tod des Eichhörnchenmenschen“ [Śmierć człowieka wiewiórka], die Autorin Małgorzata Sikorska-Miszczuk. Es war eine Groteske über die Baader-Meinhof-Gruppe. Die polnische Inszenierung des Stückes wurde 2008 auf der Theaterbiennale „Neue Stücke aus Europa“ in Wiesbaden gezeigt, und ich durfte meine Übersetzung dort einsprechen. In der Zwischenzeit habe ich über fünfzig weitere zeitgenössische polnische Theaterstücke und Libretti ins Deutsche übertragen. Von einer Vielzahl von Autoren, in der Mehrheit von Autorinnen – u. a. von Ishbel Szatrawska, Dana Łukasińska, Magda Fertacz, Jolanta Janiczak, Zyta Rudzka, Maria Wojtyszko, Krzysztof Warlikowski, Krystian Lupa, Paweł Demirski, Przemysław Pilarski, um nur einige Namen zu nennen. In vielen Fällen wurden die Übersetzungen als szenische Lesungen eingerichtet, für die Übertitelung benutzt oder in Theateranthologien abgedruckt, manchmal fanden sie auch Eingang in das Repertoire einer deutschen Bühne. Über die Jahre hinweg erwarb ich mir den Ruf, ein Theaterübersetzer zu sein, wobei dies neben Lyrik, Prosa und geisteswissenschaftlichen Texten nur einen Teil meiner Arbeit ausmacht. 2013 wurde ich mit dem Übersetzerpreis der Vereinigung der polnischen Bühnenautoren und -komponisten Zaiks ausgezeichnet.

Von Małgorzata Sikorska-Miszczuk stammt auch mein Lieblingsstück, „Der Koffer“ [Walizka]. Die Übersetzung wurde vom deutschen EURODRAM-Komitee in die Auswahl 2015 aufgenommen und 2020 erstmals auf Deutsch aufgeführt. In dem Stück geht der Protagonist François auf Anraten seiner Frau ins Museum, und zwar ins Museum der Vernichtung, wo er den Koffer seines in Auschwitz getöteten Vaters entdeckt. Es geht um nicht weniger als um die großen Fragen, zum Beispiel, wem gehört die Erinnerung, die von der Autorin ohne Pathos, stattdessen mit Poesie, Mutterwitz und Scharfsinn verhandelt werden. Ein anderes Übersetzungsprojekt, das mir besonders am Herzen liegt, ist der 2017 erschienene Band „Polnisch-deutsche Gedächtnisübungen“ mit Theaterfeuilletons von Erwin Axer. Krieg und Holocaust spielen auch hier eine zentrale Rolle. Der polnische Theaterregisseur verarbeitet in seinen stilistisch makellosen und pointierten Texten Begegnungen mit Theatergrößen wie Bertolt Brecht, Max Frisch und Friedrich Dürrenmatt, aber auch seine unwahrscheinlichen Erlebnisse während des Zweiten Weltkrieges, unmittelbar nach Kriegsende und später als Regisseur in Österreich und Deutschland.

Ich lebe seit mehreren Jahren mit meiner Familie in Warschau, also dort, wo polnisches Theater stattfindet. Es ist ein Vergnügen und Privileg, die Stücke frisch inszeniert in Augenschein nehmen zu können. Dabei musste ich leider zusehen, wie das Theater in Polen in den letzten Jahren mehr und mehr zu einem ideologischen Schlachtfeld wurde. Das Verdienst der seit 2015 in Polen regierenden nationalistischen PiS-Regierung, die sich mit aller Macht bemüht, auch im Theater ein verklärendes, beweihräucherndes Polenbild durchzusetzen und alles Kritische, „Unpatriotische“ und mit „Gender-Ideologie“ Verseuchte daraus zu vertreiben sucht. Was dazu geführt hat, dass manche Theaterschaffende ihren Arbeitsschwerpunkt ins Ausland verlegt haben, unter anderem ins Nachbarland Deutschland. Bekannteste Vertreterinnen dieser neuen Emigration sind Ewelina Marciniak, die am Theater Freiburg und am Thalia Theater in Hamburg inszeniert (im September wird dort eine Adaption von Olga Tokarczuks Roman „Die Jakobsbücher“ [Księgi Jakubowe] Premiere feiern), und Marta Górnicka, die am Gorki Theater in Berlin das „Political Voice Institute“ gegründet hat und mit ihrem Chortheater ein neues Zuhause gefunden hat (ab Ende Juli wird am Gorki ihre neueste Produktion „Still Life“ zu bewundern sein). Und mit ihnen – quasi im Gepäck – gelangen auch meine Übersetzungen in die deutschsprachigen Theater.

Andreas Volk, Warschau, 22. Juli 2021

zurück zu Porträts
Link zum Interview mit Maria Wojtysko (deutsche Version)
Link zurück zum Bericht über die Lesung
Karl-Dedecius-Preis für Andreas Volk
Übersetzung ANDREAS VOLK: TOTENTANZ, ISHBEL SZATRAWSKA

Kommentar verfassen

Trage deine Daten unten ein oder klicke ein Icon um dich einzuloggen:

WordPress.com-Logo

Du kommentierst mit deinem WordPress.com-Konto. Abmelden /  Ändern )

Facebook-Foto

Du kommentierst mit deinem Facebook-Konto. Abmelden /  Ändern )

Verbinde mit %s

Diese Seite verwendet Akismet, um Spam zu reduzieren. Erfahre, wie deine Kommentardaten verarbeitet werden..