Dank der Förderung durch den Deutschen Übersetzerfonds (DÜF) über das Programm Neustart Kultur konnten wir den Übersetzer*innen der Auswahl 2021 des deutschsprachigen Komitees Eurodram Christine Bais, Ciprian Mariniscu, Andreas Volk und Frank Weigand Übersetzerstipendien für weitere Übersetzungen von Stücken aus der Ursprungssprache der Auswahlstücke vermitteln.Diese Übersetzungen sind in Arbeit und das erste fertige Ergebnis liegt vor:
Mihaela Michailov, Radu Apostol, Toată Liniștea din Lume [ALLE RUHE DIESER WELT], Übersetzung aus dem Rumänischen von Ciprian Marinescu und Frank Weigand.
Über den nachfolgenden Link können Sie einen Textauszug öffnen oder herunterladen. Bei Interesse am ganzen Text wenden Sie sich bitte an Ciprian Marinescu ciprian.marinescu@gmail.com oder Frank Weigand frankweigand@gmail.com. Weitere Informationen bei den Übersetzern.
Die Präsentation des Theatertextes „Und“ von Sean Keller in Mannheim ist anders. Sie ist besonders, im wahrsten Sinne des Wortes ungewöhnlich, außergewöhnlich. Denn gewöhnlicherweise präsentiert das deutsche EURODRAM-Komitee seine von ihm ausgewählten Texte in Lesungen. Nicht so Kellers „Und“. Denn „Und“ hatte im Oktober 2020 seine Uraufführung am Mannheimer Theaterhaus G7 in der Regie von Inka Neubert – und so sieht das Publikum bei der diesjährigen Präsentation nicht nur eine Lesung, sondern eine komplette Inszenierung. Mit zwei Personen, einer Schauspielerin und einem Schauspieler (Sina Peris und Maximilian Wex), hat Neubert „Und“ eindrücklich in Szene gesetzt – einen Text, der die herkömmliche Form des Dramas weit hinter sich lässt und im besten Sinne als eine performative Textfläche, als eine rhythmische Sprachmaschine, als eine körperliche Wortwalze, die sich unerbittlich über die Rampe rollt, beschrieben werden kann.
Anschließend an die Vorstellung erzählt Keller im Nachgespräch, dass er beim Schreiben dieses Textes – wie bei vielen seiner Texte – eigentlich eher wabernde Nebel vor Augen gehabt habe, vielleicht einen 17köpfigen Chor. Und somit hat das Nachgespräch ganz schnell sein Thema: Was bedeutet die von Neubert gewählte Umsetzung von „Und“ mit zwei Personen für den Text? Was transportiert vor allem die Binarität in der Besetzung, inwieweit überlagert sie die Intention des Textes, ergänzt oder verfälscht sie ihn? Ganz schnell landen wir bei grundsätzlichen Fragen des Theaters: Wie kann und soll Text auf der Bühne umgesetzt werden? Wie stark dürfen und müssen Regie und Spiel auf den Text zugreifen? Wie weit kann, soll, darf oder muss dieser Zugriff gehen? Dass es auf all diese Fragen aber keine eindeutigen, allgemeingültigen Antworten geben kann, garantiert, dass Theater Theater ist und dass es das auch bleibt und eben nicht der Gewöhnlichkeit anheim fällt – auch nicht an diesem Abend. Ein außergewöhnlicher Text fordert eine außergewöhnliche Umsetzung.
Das Stück „Schwarze Schwäne” von Christina Kettering wurde im Rahmen des „Mehrsprachigkeit- Projekts” von Zeitraumexit im Theater G7 in Mannheim von Aurélie Youlia und Johanna Withalm unter der Leitung von Aurélie Youlia gelesen. Beeindrucken war, dass beinahe der gesamte Text des Stückes vorgetragen werden konnte. Es geht um zwei Schwestern, die den Pflegeroboter “Rosie” erwerben, um ihre pflegebedürftige Mutter nicht ins Heim bringen zu müssen.
Trotz anfänglicher Schwierigkeiten scheinen die Probleme gelöst, die Mutter ist zufrieden und die ständige Überforderung der jüngeren Schwester hat ein Ende. Doch allmählich nimmt Rosie mit ihren perfektionierten Abläufen immer mehr Raum im Familienleben ein. Sie erweckt Neid und schließlich Wut.
Aus gesundheitlichen Gründen konnte die Autorin Christina Kettering leider nicht dabei sein. Wolfgang Barth moderierte das Gespräch nach der Lesung und konnte auf manche Fragen aus dem Publikum mit Auszügen aus einem schriftlichen Interview mit Christina Kettering antworten. Etwa 20 Zuschauer waren anwesend. Galina Franzen, die das Stück ins Russische übersetzt hatte, las als kleines Beispiel für Mehrsprachigkeit einen Abschnitt aus ihrer Übersetzung. Weitere Themen des Stückes, dessen Ende einige Fragen aufwirft, sind u.a. Künstliche Intelligenz, Tochterpflicht und Überforderung. Lesung und Gespräch waren dynamisch und gaben den Anwesenden einiges zum Nachdenken.
Das Stück: ursprünglich eine Ich-Monolog-Erzählung (2016), dann ein Monolog-Hörspiel (Prix Europa 2019) und schließlich eine Dramatisierung für ein Theater mit großer Besetzung und wechselnden Bühnenbildern, alles was ein Theater eben so hergeben kann, wie die Autorin es sich wünscht. An die zwanzig Darsteller:nnen wären da nötig für eine szenische Lesung (Einrichtung Lukas Krüger vom Nationaltheater Mannheim); im Theaterhaus G7 in Mannheim unleistbar. Also sehen wir zwei Schauspielerinnen (Ann-Kathrin Kuppel, Vivien Zisack) und zwei Schauspieler (Björn Luithardt, Vincenzo Tatti) sich hinter Notenständer stellen und gemeinsam chorisch den Text der Mutterfigur sprechen. Nur ihre beiden Kinder, Hans und Leni, treten aus der Gruppe hervor, wenn sie ihren eigenen Part zu sprechen haben.
Die Lesung folgt dem Stückablauf genau, einige Striche (meist wenn viele Figuren auftreten) schaden ihm nicht. Versatzstücke gibt es keine, Musikeinsätze auch nicht, nur einige sparsame Lichteffekte. Die Zuschauer:nnen hören gespannt zu und meinen danach, dass sie das Stück gerne ganz lesen würden… Guter Applaus und eine angeregte Debatte folgen der Lesung.
Abschlussdiskussion und Übersetzungsbrunch (14.11.2021)
Die Lesungen fanden in Kooperation mit der Initiative "Zeitraumexit" und dem Projekt MEHR ALS CEVIRMEK: SPRACHEN VERKEHREN statt. Zum Abschluss diskutierten die Teilnehmer mit den Übersetzer*innen und Mitliedern von Eurodram beim Brunch. Eine beinahe unmittelbare Konsequenz dieser Diskussion: Auf der EURODRAM-Hauptversammlung (GA) in Madrid vom 19. bis zum 21.11.2021 hat das Netzwerk beschlossen, die Bildung von Gebärdensprachenkomitees im Bereich der Sprachen zu prüfen, die Eurodram abdeckt.
Der Leiter des Projektes, Jan-Philipp Possmann, mailto:jan.possmann@zeitraumexit.de, schreibt zu dieser Abschlussdiskussion:
"Ich möchte mich nochmal bei Euch allen bedanken, dass ihr an unserem Kooperationsprojekt teilgenommen, das Programm mit euren Arbeiten und Sichtweisen bereichert und am Sonntag gemeinsam mit uns gegessen und diskutiert habt. Damit ging unser sechstägiges, sehr vielseitiges Programm zum Thema Mehrsprachigkeit und sprachliche Diskriminierung in der Bundesrepublik zu Ende."
Teilnehmer*innen: Ülkü Süngün - Künstlerin, Kuratorin des Mehr als Cevirmek-Programms, Installation "Das Benennen", "Institut für künstlerische Migrationsforschung" (Stuttgart) / Johanna Yassira Kluhs - Dramaturgin und Kuratorin Mehr als Cevirmek-Programm (Duisburg) / Sevda Can Arslan - Medienwissenschaftlerin, Kuratorin Mehr als Cevirmek-Programm (Mannheim) / Gabriele Kögel, Autorin / Sean Keller, Autor / Charlotte Bomy, Übersetzerin, Koordinatorin des deutschsprachigen Komitees von Eurodram / Galina Franzen, Übersetzerin, Koordinatorin des deutschsprachigen Komitees von Eurodram / Heinz Schwarzinger, Übersetzer, Mitglied im deutschsprachigen Komitee von Eurodram / Wolfgang Barth, Übersetzer, Koordinator des deutschsprachigen Komitees von Eurodram / Inka Neubert, Regisseurin und künstlerische Leiterin Theaterhaus G7.
Bei der Diskussion nach der Lesung von Elise Wilks Stück "Verschwinden" im Rahmen der Vorstellung der Auswahlstücke 2021 des Deutschsprachigen Komitees EURODRAM am 29.08.2021 am Deutschen Nationaltheater Weimar (DNT) im Rahmen des Kustfestes Weimar wurde auch über die Problematik der notwendigen Kürzungen von Stücken bei Lesungen gesprochen. Hierzu ein nachdenklicher Text von Carsten Brandau.
Der Theaterbetrieb ist ein Durchlauferhitzer – insbesondere für Texte und diejenigen, die sie schreiben. Und wenn Autor:innen von diesem Durchlauferhitzer nicht verheizt werden wollen, wenn sie nicht im Rennen um den nächsten Uraufführungs-Hype, um Topp oder Flopp, untergehen, sondern kontinuierlich arbeiten, weiter-schreiben und somit nachhaltig Theater machen wollen, dann müssen sie sich positionieren. Dann müssen sie sich und ihre Texte, ihre Arbeit, positionieren. Sie müssen sie verteidigen gegen Übergriffe, sie müssen für sie kämpfen, Haltung kenntlich und deutlich machen. Nur allzu oft entscheidet eine einzige Präsentation über Topp oder Flopp, ob die zumeist langwierige, zehrende und intensive Schreib-Arbeit Früchte tragen wird. Und insofern ist es nur völlig verständlich, wenn Elise Wilk an diesem Mittag auf eine Problematik hinweist, die sie bei der Präsentation ihres Stücks erlebt hat. Das hat nichts mit verletzter Eitelkeit zu tun – im Gegenteil: Wilk positioniert nur sich und ihren Text, ihre Arbeit. Und das verdeutlicht nur ihre professionelle Haltung als Theaterautorin. Eine Haltung, die im Theaterbetrieb absolut notwendig ist – weil sie Theater überhaupt erst möglich macht. Denn Theater entsteht aus der Auseinandersetzung miteinander, aus der Auseinandersetzung zwischen Text-Intention und Regie-Zugriff, zwischen Bilder-Sprache und Spiel-Anlass, Inhalt und Form oder Parkett und Bühne. Wenn sich Haltungen füreinander einsetzen, dann entsteht Theater.