CHRISTINE BAIS, Übersetzung ABKE HARING, PLATIN/UNISONO

Abke Haring Foto © Jenneke Boeijink
Dank der Förderung durch den Deutschen Übersetzerfonds (DÜF) über das Programm Neustart Kultur konnten wir den Übersetzer*innen der Auswahl 2021 des deutschsprachigen Komitees Eurodram Christine Bais, Ciprian Mariniscu, Andreas Volk und Frank Weigand Übersetzerstipendien für weitere Übersetzungen von Stücken aus der Ursprungssprache der Auswahlstücke vermitteln. Es liegt vor:

Christine Bais, Übersetzung aus dem Niederländischen:
Abke Haring, PLATIN/ UNISONO [PLATINA / UNISONO]

Bei Interesse am Gesamttext bitte Mail an Christine Bais: c.bais [a] xs4all.nl
Die Autorin Abke Haring

Abke Haring (De Bilt, 1978) ist Schauspielerin, Regisseurin und Theaterautorin. Sie studierte Schauspiel am Herman Teirlinck Institut in Antwerpen und war von 2004 bis 2018 engagiert am Toneelhuis Antwerpen, wo sie auch zahlreiche eigene Stücke schrieb und spielte, darunter Unisono und Platin. Platin wurde als eine der besten Aufführungen der Saison zum niederländisch-belgischen Theaterfestival 2018 eingeladen. Haring übernimmt regelmäßig Rollen in Film und Fernsehen und war und ist als Schauspielerin auch in zahlreichen Theaterproduktionen anderer Regisseur:innen und Autor:innen zu sehen. Für ihre Rolle des Hamlet in Hamlet vs. Hamlet bei Toneelgroep Amsterdam/ITA wurde sie 2014 mit dem Theo d’Or ausgezeichnet, dem wichtigsten Schauspielpreis der Niederlande für eine weibliche Hauptrolle. Sie lebt in Amsterdam.

www.abkeharing.com

Die Übersetzerin Christine Bais

Christine Bais (Düsseldorf, 1972) studierte von 1992 bis 1998 Theater-, Film- und Fernsehwissenschaften, Literaturwissenschaft und Linguistik an der Freien Universität Berlin. Neben ihrem Studium arbeitete sie als Regie- und Produktionsassistentin. Seit 2000 lebt und arbeitet sie in Amsterdam, seit 2009 ist sie freiberufliche Übersetzerin.

Kontakt: c.bais [a] xs4all.nl
Info über die beiden Stücke

PLATIN / UNISONO

Stille ist ein Klang. – Abke Haring

Die Texte UNISONO (2015) und PLATIN (2018) von Abke Haring sind unabhängig voneinander entstanden, können aber auch als Diptychon gelesen werden. Sie beschreiben zwei der intensivsten menschlichen Erfahrungen, die schwer in Worte zu fassen sind – finaler Abschied und Einsamkeit. Abke Harings Texte sind minimalistisch. Hinter den kargen Zeilen verbirgt sich eine Tiefe, die schmerzhaft ist, aber diese Tiefe ist auch der Raum, in dem man die Verbindung zum Anderen herstellen kann.

Abke Haring erzeugt in ihren Stücken mit wenigen Worten eine hohe Konzentration und Intensität. Scheinbare Oberflächlichkeit wechselt sich ab mit plötzlichen, existenziellen Hilferufen, ihre Figuren manövrieren zwischen Beherrschung und Kontrollverlust, zwischen Einsicht und Zweifel, zwischen Tatendrang und Ohnmacht. Dabei zieht Haring viele Register. Ihre Sprache ist abstrahiert, lyrisch, facettenreich und geprägt von einer starken Musikalität.

In PLATIN sehen wir zwei Menschen, die voneinander Abschied nehmen müssen, da einer der beiden bald stirbt. Das Stück besteht aus Variationen verzweifelter Versuche, sich auf die je eigene Weise mitzuteilen, sich zu verbinden, ein wertvolles Gespräch zu führen, bevor es zu spät ist – oder diesem Gespräch auszuweichen. Wie gehen wir mit dem Unaussprechlichen um, und wie mit dem Ungesagten? Muss man immer alles in Worte fassen? Wie können wir uns mitteilen und verbinden, wie den Anderen verstehen? Und wie gehen wir damit um, wenn der Tod uns trennt?

Der Monolog UNISONO ist eine Choreografie von Gedanken und minimalen Handlungen in einem intimen, stillen Raum. Der unablässige Gedanken- und Wörterstrom scheint zunächst sprunghaft, ist aber auch ordnend und kontemplativ, mit wiederkehrenden Elementen. Profanes wechselt sich ab mit großen Gefühlen und Einsichten, Reflektionen mit Spielereien und Assoziationen. Wie viele Gespräche finden in unseren Köpfen statt? Wann endet dieser Strom von Wörtern und Gedanken? Wann vereinen sich alle Stimmen? Wann kommt die Stille? Wo finden wir Halt und Frieden?

Textauszüge PLATIN & UNISONO
Die drei zusätzlich geförderten Übersetzungen zur Auswahl 2021
Übersetzung Christine Bais: Nico Boon, TRITT AUF GEHT AB
Interview mit Christine Bais
Nachrichten aus dem Komitee

Andreas Volk Preisträger des Karl-Dedecius-Preises 2022

Am 20.05.2022 wurde Andreas Volk, Übersetzer aus dem Polnischen ins Deutsche und Mitglied des deutschsprachigen Komitees Eurodram, und Elżbieta Kalinowska, Übersetzerin aus dem Deutschen ins Polnische, in der Evangelischen Stadtkirche Darmstadt der Karl-Dedecius-Preis für deutsche und polnische Übersetzerinnen und Übersetzer verliehen.
Die Preisträgerin Elżbieta Kalinowska und der Preisträger Andreas Volk
© Foto: Wolfgang Barth
Kurzbiografien der Übersetzerin und des Übersetzers:
Elżbieta Kalinowska ist Übersetzerin, Redakteurin und Kulturmanagerin. Sie war stellv. Direktorin des Polnischen Buchinstituts, seit 2016 arbeitet sie als Herausgeberin für Non-Fiction in der Verlagsgruppe Foksal. Seit mehr als 20 Jahren übersetzt sie deutschsprachige Literatur für führende polnische Verlage wie Czarne, W.A.B oder Wydawnictwo Literackie. Auf ihrer Publikationsliste stehen mehr als 20 Gegenwartsromane, aber auch mehrere Sachbücher und Reportagen. Kalinowska interessiert sich für moderne Strömungen in der deutschsprachigen Literatur, vornehmlich übersetzt sie Autoren und Autorinnen mit Migrationshintergrund, etwa Zsuzsa Bánk, Terézia Mora. Olga Grjasnowa, Sherko Fatah und Feridun Zaimoglu. Darüber hinaus übersetzte sie Werke von Elfriede Jelinek, Judith Kuckart. Felicitas Hoppe und Norbert Gstrein.

Andreas Volk hat sich durchzahlreiche Übersetzungen zeitgenössischer polnischer Dramen etwa von Malgorzata Sikorska-Miszczuk. Krysztof Warlikowski und Tadeusz Slobodzianek einen Namen gemacht und wird von polnischen Autorinnen und Autoren wie auch von Regisseurinnen und Regisseuren in Deutschland gleichermaßen geschätzt. Als Übersetzer geistes-und kulturwissenschaftlicher Monografien und Aufsätze trägt er kontinuierlich zum wissenschaftlichen Dialog zwischen Deutschland und Polen bei (Werke von Maria Janion, Erwin Axer, Kystian Lupa). Er ist Mitbegründer des deutsch-polnischen Jahrbuchs „OderÜberstzen", war als Redakteur der deutsch-polnisch-ukrainischen L1teraturzeitschrift „Radar" tätig und arbeitet als Kulturmittler für lnstitutionen wie das Goethe-Institut.

(Auszug aus dem Programmheft)
Der erste Kontakt des deutschsprachigen Komitees EURODRAM mit Małgorzata Sikorska-Miszczuk und Andreas Volk fand 2014 statt. Das Stück  „DER KOFFER“ („Walizka“, aus dem Polnischen von Andreas Volk, Kaiser-Verlag) war eines der Stücke der Auswahl 2015.
Małgorzata Sikorska-Miszczuk bei der Laudatio für Andreas Volk © Foto: Wolfgang Barth
Text der Laudatio (Małgorzata Sikorska-Miszczuk) für Andreas Volk (Übersetzung: Bernhard Hartmann)

Die polnische Dramatik der ersten beiden Jahrzehnte des 21. Jahrhunderts ist das Resultat einer beispiellosen geistigen Bewegung und weltanschaulichen Revolte in der polnischen Kunst. Die 1989 begonnene Systemtransformation veränderte das soziale Gefüge in Polen und zwang die Polen zu einer grundlegenden Neuprogrammierung ihres Weltbilds. Die 1990er Jahre brachten in der Dramatik keine bedeutenden Früchte hervor. Ich erinnere mich an diese Jahre als eine Zeit geistiger Orientierungslosigkeit und Unselbstständigkeit, als eine Zeit des Chaos. Die Dramen spielten sich im Leben ab, nicht auf der Bühne. Erst der Beginn des 21. Jahrhunderts eröffnete meiner Generation die Chance, mit eigenen Worten zu sprechen. Andreas Volk war ein Teil dieser mächtigen Welle der Ideen und der Erneuerung.

Mein erstes Stück und der Anfang meiner Bekanntschaft mit Andreas war „Der Tod des Eichhörnchenmenschen“. 2008 waren wir mit diesem Stück beim Festival „New Plays From Europe“ in Wiesbaden zu Gast, wo die besten europäischen Inszenierungen präsentiert wurden. „Der Tod des Eichhörnchenmenschen“ erzählt die Geschichte der Intellektuellen und RAF-Terroristin Ulrike Meinhof. Es ist für mich höchst symptomatisch, dass ich auf meiner Mission der Abrechnung mit der Welt auf die Figur einer deutschen Intellektuellen zurückgriff, die das „Schreiben“ aufgab und sich für ein gewaltsames Handeln entschied. Das Dilemma, das hinter dieser Entscheidung stand, begleitet mich bis heute.

„Der Tod des Eichhörnchenmenschen“ war der Beginn einer jahrelangen Freundschaft mit Andreas. Darum fällt es mir schwer, eine .wissenschaftliche“, „objektive“ Laudatio auf Andreas Volk zu halten, denn ich bin ihm gegenüber nicht objektiv. Ich weiß nur, dass ich meinen Weg im polnischen Theater mit der Geschichte Ulrike Meinhofs begann, weil ich diese deutsche Geschichte als meine eigene betrachtete. Andreas hat eine ähnliche Entscheidung getroffen: Er betrachtet die polnische Geschichte als Teil seiner eigenen Erfahrungswelt. So wie ich Ulrike Meinhof als Teil von mir betrachtete, betrachtet Andreas Polen, die polnische Sprache und die Helden der polnischen Geschichte als einen Teil von sich.

Dieser erste, fundamentale Schritt definierte uns als Gemeinschaft. Die Jahre der Freundschaft, Gespräche, Erzählungen und die Arbeit an neuen Übersetzungen – über all dem stand, auf einer Metaebene, die Frage: Was ist diese Gemeinschaft zwischen uns, was ist der geistige Raum Polens und Deutschlands? Entscheiden wir uns für Gewalt, Dominanz und Verachtung oder für Verständigung, Gleichheit und Gemeinschaft?

Andreas übersetzte Dramatik, die auf höchsten Touren und höchstem Niveau für – ich scheue mich nicht, es zu sagen – Frieden, Versöhnung und wachsendes Bewusstsein „arbeitete“. Er übersetzte Krystiana Lupa, Tadeusz Sfobodzianek, Pawel Demirski, Magda Fertacz, Artur Palyga, Zyta Rudzka, Maria Górnicka, Przemek Pilarski. Er tat das auf eine Weise, an der man den begabten und nach Perfektion strebenden Übersetzer erkennt. Er stellte Fragen, hakte nach, präzisierte. Ich vertraute ihm voll und ganz.

Dabei wurde Andreas Volk mit einer übersetzerischen Herausforderung konfrontiert, mit der er in seinem Leben sicher nicht gerechnet hätte: der Übersetzung zeitgenössischer polnischer Opernlibrettos. Weil ich nicht wenige zeitgenössische polnische Opernlibrettos geschrieben habe, die alle von Andreas übersetzt wurden, kann ich zu diesem Thema einiges sagen. Sicher hat Andreas – ebenso wie ich – nicht erwartet, dass ich mich eines Tages mit einem Libretto nach Thomas Manns „Zauberberg“ an ihn wenden würde. Diese wunderbare, 2015 von Pawel Mykietyn komponierte Oper wurde in Deutschland bisher nicht aufgeführt, obwohl sie in Polen als Oper des 21. Jahrhunderts und Ereignis des Jahres gefeiert wurde. Ich finde das sehr schade, denn musikalisch und literarisch ist es ein Werk, das man der Welt zeigen kann.

Ein zeitgenössisches Opernlibretto ist – zumindest im Fall der besten Texte – zeitgenössische Poesie. Und genau darin bestand Andreas‘ Aufgabe: Er musste ein Poem schaffen, eigenständiger Schöpfer von Poesie und Rhythmus. Denn Andreas übersetzte den Text des Librettos nicht zur Übertitelung. Pawel Mykietyns Oper wird auf Deutsch gesungen und Andreas Volk hat sich mit seiner Übersetzung unsterblich in die Partitur des „Zauberbergs“ eingeschrieben. Aus seinen Worten entstand eine Opernerzählung von Liebe und Krieg, Liebe und Hass, vom Aufstieg des Individuums auf eine höhere Bewusstseinsebene, vom Tod und vom Scheitern der Menschheit, von Krieg und innerer Verwüstung.

Als Autorenverband ZaiKS haben wir Andreas Volk 2013 für seine Begabung und sein enormes Engagement bei der Vermittlung polnischer Dramatik an deutsche Leser und Theater unseren Übersetzerpreis verliehen. Dass Andreas heute mit dem Karl-Dedecius­ Preis ausgezeichnet wird, bewegt mich sehr und ich sage großen Dank dafür. Mehr können wir nicht für ihn tun, obwohl er mehr verdient. Es möge ein guter Anfang sein.

Übersetzung: Bernhard Hartmann

Der Übersetzer Andreas Volk
Übersetzung ANDREAS VOLK: TOTENTANZ, ISHBEL SZATRAWSKA
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