Vorstellung der Stücke der Auswahl 2022 im Theaterhaus G7 Mannheim

Die Autor*innen der Auswahl 2022 des deutschsprachigen Komitees EURODRAM: Akın Emanuel Şipal, Raphaela Bardutzky, Rike Reiniger  
Alle Fotos dieser Seite, falls nicht anders erwähnt © Elisa Berdica
Galina Klimowa (Eurodram), Heinz Schwarzinger (Eurodram und Übersetzer R. Bardutzky Französisch), Aleksandra Lukoszek (Eurodram und Überetzerin R. Bardutzky Polnisch), Raphaela Bardutzky (Autorin FISCHER FRITZ), Emilie Leconte (Autorin BERTRAND FÄLLT AUS), Carsten Brandau (Eurodram, Autor), Wolfgang Barth (Eurodramm Koordination, Übersetzer Französisch), Pascal Wieand (Theaterhaus G7, Künstlerischer Leiter und Geschäftsführer), Inka Neubert (Theaterhaus G7, Künstlerische Leiterin und Geschäftsführerin). Die Autorin Rike Reiniger (RISSE IN DEN WÖRTERN) und der Autor Akın Emanuel Şipal (MUTTER VATER LAND) sind nicht auf dem Foto, aber weiter unten im Text.

Vom 11. bis 13. November 2022 fanden am Theaterhaus G7 in Mannheim die Lesungen und szenischen Lesungen der Auswahl 2022 des deutschsprachigen Komitees EURODRAM statt:

Raphela Bardutzky, FISCHER FRITZ, Rike Reiniger RISSE IN DEN WÖRTERN und Akın Emanuel Şipal, MUTTER VATER LAND. Die Lesungen der Auswahl waren  möglich dank der Förderung durch den Deutschen Literaturfonds im Rahmen des Programmes „Neustart Kultur“ der Bundesregierung.

Sie waren eingebettet in das erstmalig durchgeführte Festival STÜCK FÜR STÜCK des Theaters, das drei weitere Stücke vorstellte: DER MANN AUS PODOLSK von Dmitri Danilow, überersetzt aus dem Russischen von Elena Finkel, ICH WILL DIE MENSCHEN AUSRODEN VON DER ERDE von María Velasco, übersetzt aus dem Spanischen von Franziska Muche, und BERTRAND FÄLLT aus von Emilie Leconte, übersetzt aus dem Französischen von Wolfgang Barth. Für diesen Teil des Festivals war das Theaterhaus G7 finanziell zuständig. Eine Förderung erfolgte über die Stadt Mannheim, das Land Baden-Württemberg und ebenfalls das Programm „Neustart Kultur“.

Auch diese drei Stücke haben etwas mit EURODRAM zu tun: Sie waren oder sind Bestandteile der Leseliste und/oder fanden den Weg in eine Shortlist. Hier zeigt sich die außerordentlich fruchtbare Zusammenarbeit zwischen dem Theaterhaus G7 und dem deutschsprachigen Komitee, was Inka Neubert und Pascal Wieand (beide Theaterleitung und Geschäftsführung) bei den Einführungen zu den Lesungen betonten. Das deutschsprachige Komitee dankt ihnen an dieser Stelle von Herzen. Was wären wir ohne euch?

Die Autor*innen Raphaela Bardutzky, Rike Reiniger, Akın Emanuel Şipal, Emilie Leconte und zwei ihrer Übersetzer*innen, Aleksandra Lukoszek (Polnisch) und Heinz Schwarzinger (Französisch) waren bei den Lesungen anwesend und haben sich dort zum Teil das erste Mal persönlich gesehen. Dmitri Danilow und María Velasco waren über Zoom zugeschaltet.

Die sechs Regisseur*innen Inka Neubert, Aurélie Julia, Jana Nerz, Pascal Wieandt, Milica Cortanovacki und Philippe Mainz waren da und natürlich die Schauspieler*innen Mirjam Birkl, Moritz Hahn, Sina Peris, Vincenzo Tatti, Thore Baumgarten, Thomas Cermak, Vivien Zisack, Julija Komerloh, Marie Scholz, Mounir Saidi, Katharina Pauls, Bernadette Evangeline Schlottbohm, Johanna Witthalm, Oliver Dawid, Maximilian Wex, Aurélie Youlia (Reihenfolge der Stücke). Linda Johnke und Marcela Snášelová (Ausstattung und Kostüm) schufen Voraussetzungen. Elisa Berdica hat professionell fotografiert.

Gedolmetscht haben Galina Franzen (Russisch), Wolfgang Barth (Französisch)  und Sabine Giersberg (Spanisch).

Ein Novum war die Moderation der Diskussionen durch namhafte, beinahe ausschließlich externe Dramaturg*innen: Sascha Hargesheimer (Nationaltheater Mannheim), Philipp Bode (Theaterhaus G7), Nazli  Saremi (Nationaltheater Mannheim), Udo Eidinger (Theater Erlangen), Maria Schneider (Theater Heidelberg), Miriam Fehlker (Theater Baden-Baden).

Die folgende PDF-Datei zeigt das Programm des Gesamtprojektes. Sie können ihm entnehmen, dass Joshua Nerz (Technische Leitung), Tom Steyer (Technik) und Robert Kammerer (Assistenz) wesentlich zum Gelingen beitrugen, erfahren, wer für Künstlerische Leitung, Organisation und EURODRAM-Koordination zuständig war, und einiges mehr.

Die Zusammenarbeit so vieler Menschen für das Theater, ihre Anwesenheit in Mannheim, ihre Persönlichkeit, besonders aber der Geist des Theaterhauses G7 und seines Publikums haben dieses Theaterwochenende zu einem unvergesslichen Ereignis gemacht.

Wolfgang Barth

Für jedes Theaterstück enthält das Programm Zusammenfassungen. Sie können es herunterladen oder direkt hier scrollen und verkleinern/vergrößern.

Szenische Lesung Dmitri Danilow, Der Mann aus Podolsk, aus dem Russischen von Elina Finkel

Die Musik zu den Tanzszenen "Chicago Seven - Kak dela Normal'no" ist auf einigen YouTube-Kanälen gesperrt. Text auf Deutsch: Wie geht's dir? Normal / Normal gibt es nicht / Uns geht's normal, wirklich nicht real [...] / Wirklich nicht real / Wirklich nicht real [...].

Ein russisches Theaterstück in einer szenischen Lesung?

Theater findet nicht im luftleeren Raum oder im Elfenbeinturm statt, sondern in einem konkreten politischen und gesellschaftlichen Kontext. Täglich fallen dem russischen Angriffskrieg gegen die Ukraine Menschen zum Opfer. Kann man in dieser Situation die szenische Lesung eines russischen Theaterstückes durchführen?

Das europäische Netzwerk für Theater in Übersetzung EURODRAM umfasst an die dreißig nach Sprachen organisierte Lese- und Bewertungskomitees in Europa und dem angrenzenden Raum. Darunter ein ukrainisches und ein russisches.

Auch das deutschsprachige Komitee nimmt für die Auswahl 2023, die wir zurzeit vorbereiten, ukrainischsprachige und russischsprachige, ins Deutsche übersetzte Stücke an. Wir bewerten sie nach ihrer künstlerischen Qualität und dem Gewicht ihres Inhalts. Wir sehen aber auch ihre Haltung gegenüber der Demokratie und den Menschenrechten. Die Förderung eines den Angriffskrieg verherrlichenden oder das gegenwärtige politische System Russlands unterstützenden Stückes oder einer/eines diese Ziele vertretenden Autorin oder Autors käme für uns nicht in Frage. Wir sind mit den ukrainischen und russischen Autor*innen solidarisch, die sich in ihren Werken gegen die Aggression erheben.

Ein Stück von vornherein auszuschließen, weil Autor*in oder Übersetzer*in russisch sind oder russisch sprechen, wäre fatal. Viele von ihnen leben im Exil und tragen mit ihren Stücken und Übersetzungen zur Verteidigung und Etablierung demokratischer Rechte bei. Sie sind selbst Opfer des politischen Systems. Ihre Stimmen dürfen nicht zum Schweigen gebracht werden. Auch die der noch im Lande lebenden Schriftsteller*innen nicht, denen dies dort widerfährt, wenn sie, in dieser Weise beschädigt, überhaupt noch zu uns durchdringen.

Dies zur Entscheidung des Theaterhauses G7, das Stück DER MANN AUS PODOLSK von Dmitri Danilow in einer szenischen Lesung vorzustellen.

Galina Franzen, Mitglied des deutschsprachigen Komitees, deren Familie zum Teil noch in Russland lebt, die bei der Diskussion nach der Lesung des Stückes für den Autor gedolmetscht hat und ihn in Moskau besuchte, hat hierzu etwas zu sagen.

Wolfgang Barth

Für Inka Neubert, mit der ich sprach, Regisseurin der szenischen Lesung und als Künstlerische Leiterin und Geschäftsführerin des Theaterhauses G7 Gastgeberin für die Lesungen in Mannheim, stellte sich die Frage, ob es derzeit generell problematisch sei, ein russisches Stück zu inszenieren, nicht. Für „Stück für Stück“ hatte sie neben der Auswahl 2022 des deutschsprachigen Komitees EURODRAM sehr viele Stücke gelesen, eine große Menge Material gesichtet. Die Herkunft des Autors habe dabei keine Rolle gespielt (siehe hierzu Inkas Aussage weiter unten).

Ist das Stück „Mann aus Podolsk“ nur in einem konkreten politischem Kontext zu sehen? Oder geht es um den Menschen unabhängig vom Land und dessen politischem System ? Sprechen wir von Willkür in einem autoritären Staat oder von einem Menschen, dessen Leben in Gewohnheiten erstarrt ist, der studiert, was ihn gar nicht interessiert, der einen Job macht, den er nicht mag, dem der Ort, in dem er lebt, egal ist? Handelt es sich um einen Russen oder einen Deutschen, Franzosen oder Amerikaner?

Für Rike Reiniger (Autorin von „Risse in den Wörtern“), die diese Fragen bei der Diskussion stellte, stand weniger das politische System im Vordergrund als der Mensch. Dmitrij Danilow war ihr per Zoom dankbar für diese Gewichtung seiner Message. Er habe von der Hilflosigkeit eines Menschen gegenüber seinen Lebensumständen erzählen wollen, von der freiwilligen Hinnahme des öden, farblosen Charakters seiner Lebensgestaltung. Dies sei eine universale Thematik, die für jeden Menschen Bedeutung erlangen könne.

Wie empfindet es ein Autor, wenn sein Text in einer anderen Sprache, unter fremdem Himmel in einem anderen Land inszeniert wird? Ist es ein Problem, dass Regisseur*innen, Dramatiker*innen, Darsteller*innen auch im übertragenen Sinne nicht immer die gleiche Sprache sprechen? Hat man als Autor ein Problem damit? Ist Dmitrij mit der Übersetzung seines Stückes „Der Mann aus Podolsk“ und der Übertragung auf die Bühne des Theaterhauses G7 in Mannheim einverstanden?

Dmitrij erzählte, er gehöre nicht zu den Autoren, die eifersüchtig eine Inszenierung verfolgen und sogar um einen Kratzer am Hals einer Schauspielerin mit einem Regisseur streiten können. Er sei immer froh, wenn seine Stücke weltweit gezeigt würden und Menschen verschiedener Kulturen seine Texte umsetzten. Im Gegenteil sei es für ihn eine spannende Erfahrung zu erleben, wie kreative Menschen anderer Länder seine Stücke lesen und interpretieren. Schade sei jedoch, dass er bei der Aufführung nicht live habe zuschauen können, besonders jetzt sei dies fast unmöglich geworden. Er sehne sich sehr nach einer solchen Möglichkeit. Die Menschen aus den Kulturbereichen der ganzen Welt müssten zusammenhalten und sich unterstützen. Dies sei seine große Hoffnung. 

Galina Franzen

Wenn ich Stücke lese, müssen sie mich persönlich berühren, damit ich sie interessant finde. Bei Danilow kommt neben der politischen Relevanz des Themas ein skurriler, absurder Witz dazu, der mich sofort angesprochen hat. Eine Situation herzustellen, die so offenbar jeder Realität widerspricht, gelingt dort sehr gut. Für mich ist tatsächlich erst einmal wichtig, ob mich der Text als solcher interessiert. Alles andere kommt danach.

Inka Neubert

Sina Peris, Vincenzo Tatti, Miriam Birkl, Moritz Hahn
Sascha Hergesheimer (Moderation, Nationaltheater Mannheim), Inka Neubert (Einrichtung), Galina Klimowa (Dolmetscherin) bei der Diskussion mit dem per Zoom zugeschalteten Autor Dmitri Danilow.

Lesung Raphaela Bardutzky, Fischer Fritz (EURODRAM AUSWAHL)

Infos: Heinz Schwarzinger zum Stück   Info Raphaela Bardutzky, Fischer Fritz
Foto © Timm Burkhardt; Raphaela Bardutzky, Autorin, Aleksandra Lukoszek, Übersetzerin Polnisch (rechts), Heinz Schwarzinger, Übersetzer Französisch (links).

Das Bild als Illustration des Stückes selbst: Die Autorin ist da, Aleksandra ist Piotra (sie gibt ihr im Stück die polnische Sprache), Heinz ist Fischer Fritz ("Wir haben so einiges gemeinsam. Und nicht nur das Beste.")

Dank Eurodram, dem europäischen Netzwerk für Theater in Übersetzung, habe ich das große Glück, dass mein Stück „Fischer Fritz“ inzwischen auf Französisch und Polnisch vorliegt – obwohl ich diesen Riesenzungenbrecher eigentlich für völlig unübersetzbar hielt.

Heinz Schwarzinger, der den Text ins Französische übertragen hat, sowie Aleksandra Lukoszek, die auf Polnisch übersetzt hat, haben mich aber eines Besseren belehrt.

Jetzt durfte ich diese zwei Sprachkünstler*innen endlich persönlich treffen, bei „Stück für Stück“ amTheaterhaus G7 in Mannheim. Wie happy kann eine Autorin sein?

Raphaela Bardutzky

Thore Baumgarten, Vivien Zisack, Thomas Cermak
Philipp Bode (Moderation, Theaterhaus G7), Raphaela Bardutzky (Autorin), Aurélie Youlia (Einrichtung)

Bei der Diskussion nach der Lesung nahm Raffaela Bardutzky Stellung zur Frage, ob für sie beim Schreiben die Erwartungshaltung des Publikums einen hohen Stellenwert hatte. Raphaela erklärte, dass sie den gesamten Text aus einem einzigen, sehr bekannten Zungenbrecher heraus etwickelt habe („Fischer Fritz…“). Der sprachliche, künstlerische Aspekt habe bei der Gestaltung des Stückes stets eine Rolle gespielt. Ola (Aleksandra) und sie hätten sich dem Problem stellen müssen, dass es für polnische Zungenbrecher kein direktes Äquivalent im Deutschen (und umgekehrt) gebe und sie von daher schwer oder gar nicht zu übersetzen seien. Das Stück setzte also an einem dem Publikum sehr bekannten Phänomen an, das im Stück durchgängig auftauche.

Lesung Akın Emanuel Şipal, Mutter Vater Land (EURODRAM AUSWAHL)

Info: Autor und Stück  Interview mit Akın Emanuel Şipal über sein Stück und das Übersetzen
Marie Scholz, Thomas Cermak, Mounir Saidi, Thore Baumgarten, Julja Komerloh
Dias: Akın Emanuel Şipal entspannt im Foyer und beim Gespräch mit dem Publikum (rechts oder links scrollen).
Nazli Saremi (Nationaltheater Mannheim, Moderation), Autor Akın Emanuel Şipal, Jana Nerz (Einrichtung)

Akın Emanuel Şipal lobte in der Diskussion die große Empathie der Schauspieler*innen, die zur lebendigen und zutreffenden Darstellung der Charaktere und Handlungen seines Stückes geführt hätten, und nahm Stellung insbesondere zu dessen autobiographischen Aspekten. Es gehe aber darüber hinaus „um ein tieferes Verständnis der türkisch-deutschen Beziehungen […], also die tief verankerte Rivalität mit und Angst vor den Osmanen, die prägend war und irgendwo unterschwellig vielleicht noch wirkt…, den ‚akademischen Austausch‘, also die Flucht jüdischer Akademiker in die junge türkische Republik, aber auch die Flucht eines Nazis nach Istandbul nach dem 2. Weltkrieg (Gerhard Fricke).“

Thema war auch die Frage nach der küntlerischen Freiheit, zu der Akın am Beispiel der Entstehung des vorgestellten Stückes Stellung nahm:

Ich schreibe nicht, was ich möchte, sondern schreibe, was ich schreiben kann, was sich schreibt… dass ich nicht gedacht habe, jetzt schreibe ich aber mal Dialoge… dass es da keine Entscheidung gab, sondern die Dialoge sich einfach anboten, der Inhalt hat sich mir in den Dialogen präsentiert… dieses gleichzeitige Auftreten von Form und Inhalt, ein Segen.

Akın Emanuel Şipal

Szenische Lesung María Velasco, Ich will die Menschen ausroden von der Erde, aus dem Spanischen von Franziska Muche

Pascal Wieand (Einrichtung), Udo Eidinger (Moderation, Theater Erlangen) und Sabine Giersberg (Dolmetscherin Spanisch) bei der Diskussion mit der per Zoom zugeschalteten Autorin María Velasco.
Beeindruckende Ausstattung von Marcela Snášelová.
Johanna Withalm, Bernadette Evangelina Schlottbohm, Katharina Pauls

Für eine Freundin als Dolmetscherin eingesprungen, war ich bei der Vorbereitung schon beim Titel ‚Ich will die Menschen ausroden von der Erde‘ am Haken und in der Folge fasziniert von dem ungeheuer dichten, wirkmächtigen Text. Richtig gepackt hat er mich dann in der Inszenierung auf der Bühne, als das Wortgewitter in Gestalt von drei starken Frauen erlebbar wurde. Ein schonungsloser Text, der bewegt, aufwühlt, schockiert, durch den allgegenwärtigen Humor und den versöhnlichen Schluss aber auch etwas Befreiendes hat.

Sabine Giersberg, Übersetzerin

Lesung Emilie Leconte, Bertrand fällt aus, aus dem Französischen von Wolfgang Barth

Aurélie Youlia,Vincezo Tatti, Marie Scholz, Oliver David (liegend); Bertrand kann zwar nicht mehr aufstehen, produziert aber Konfetti, weil "niemand sicher sein kann, dass nicht plötzlich etwas Schönes passiert".
Milica Cortanovacki (Einrichtung), Maria Schneider (Moderation,Theater Heidelberg), Autorin Emilie Laconte, Wolfgang Barth (Übersetzer des Stückes und Dolmetscher bei der Diskussion).

In der Diskussion erläuterte Emilie Leconte, dass bei ihrem Stück die eigentliche Aussage nicht in dem liege, was Bertrand, der Protagonist, und andere Personen sagten, sonder vielmehr in dem, was sich im Umgang mit ihren Fällen durch Instanzen der Gesellschaft zeige, also eher zwischen den Zeilen, im nicht Gesagten. Ihre Stücke stünden in der Tradition des absurden Theaters (Ionesco, Beckett, besonders auch Gombrowitz, dessen Protagonistin in „Yvonne, die Burgunderprozessin“ sehr viel mit Bertrand gemeinsam habe), und dies müsse sich in Inszenierungen zeigen. Die Schauspieler*innen seien im wörtlichen Sinne typisierte „Rollenträger“, nicht imitierende Darsteller natürlicher Verhaltensweisen und Vorgänge.

[Übersetzung des folgenden Textes von Wolfgang Barth]

Das Theaterhaus trägt seinen Namen zu Recht, man fühlt sich hier sofort wie zu Hause, auch wenn ich als Französin nicht alles verstehe, was dort gesprochen wird. Die Atmosphäre ist besonders sanft, einladend und warmherzig. Der Theaterraum ist so konzipiert, dass man sich sowohl den Schauspielern als auch den anderen Zuschauern nahe fühlt.

Als ich den Saal zur Lesung betrat, war der Boden mit Konfetti übersät, wie ich es mir beim Schreiben des Stücks vorgestellt hatte. Ich hatte eine Tischlesung erwartet und entdeckte zu meiner Freude eine räumliche Umsetzung, die für die Zuschauer ein starkes Bild ergab: Bertrand in der Mitte, zahlreiche Personen drängen sich um den Tisch, auf dem er liegt, und setzen sich mit dem Unerklärlichen auseinander.

Ich spreche nicht Deutsch, aber nehme dennoch den Sprach- und Spielrhythmus der Schaupielerinnen wahr, der mir gefällt und sehr passend erscheint.

Manchmal lachen die Zuschauer und ich versuche dann, die zugrundeliegende Zeile des Originals zu erfassen. Es gelingt mir nicht immer, aber darauf kommt es nicht an. Eines meiner Stücke in einer Sprache zu sehen, die ich nicht verstehe, ist für mich beeindruckend und bewegend. Ich löse mich vom Text und beobachte ausnahmsweise einmal alles andere…

Nun habe ich das Theaterhaus verlassen und kehre nach Paris zurück. Noch immer aber stehe ich unter dem Zauber dieses Ortes, dessen Engagement für die Autoren*innen so wertvoll ist, und diesen schönen Theaterbegegnungen.

Emilie Leconte

Szenische Lesung Rike Reiniger, Risse in den Wörtern (EURODRAM AUSWAHL)

Moritz Hahn als Sascha in einer außergewöhnlichen Einzelrolle.
Info: Autorin und Stück    Maxi Obexer über Rike Reiniger    Blažena Radas über Rike Reiniger
Auf dem Weg zur Untersuchungskommission der Bundeswehr tauchte Moritz Hahn bereits im Foyer auf.
Miriam Fehlker (Moderation, Theater Baden-Baden), Autorin Rike Reiniger, Philippe Mainz (Einrichtung) bei der Diskussion.

In einer Zeit, in der in der Ukraine und an anderen Stellen der Welt der Kriegt tobt und man sich fast schon daran gewöhnt hat, erscheint die von Moritz Hahn so eindringlich vorgetragene Geschichte des Soldaten Sascha, der sich wegen „schwerer Dienstrpflichtverletzung“ in Afghanistan verantworten muss, von besonderer Bedeutung. Wie sein literarisches Vorbild Edlef Köppen („Heeresbericht“), Veteran des Ersten Weltkrieges, soll auch er als verrückt erklärt werden.

Rike Reiniger schreibt in der Bahn auf dem Rückweg von der Lesung nach Hause spontan hierzu:

„Abdul. Vielleicht hieß er Abdul. „, sagt Sascha, der Soldat, und Moritz Hahn als Schauspieler fokussiert den Lichtkegel auf dem blanken Bühnenboden. Dazu hören wir Sätze aus den Boxen, deren Sinn nicht zu verstehen ist. Der tote Taliban-Kämpfer fehlt in dem Lichtkegel, wir kennen ihn nicht, werden ihn nie kennenlernen. Die Sätze der Personen, die sich für so normal halten, dass sie Sascha für verrückt erklären können, verstehen wir nicht, weil sie nicht zu verstehen sind. Es sind gerade diese Leerstellen, die meinem Stücktext über den unentwirrbaren Knoten, in dem ein Soldat in Afghanistan feststeckt, so viel hinzufügen, dass ich ihn in der Inszenierung von Philippe Mainz neu entdecke. Vielen Dank dafür!
RR

Seele des Theaterhauses G7: Künstlerische Leiter*in und Geschäftsführer*in Inka Neubert und Pascal Wieandt.

Das deutschsprachige Komitee EURODRAM bedankt sich herzlich bei allen Beteiligten und besonders beim DEUTSCHEN LITERATURFONDS, der die Lesung der Stücke der Auswahl durch seine Förderung mit dem Programm NEUSTART KULTUR ermöglicht hat.