Marina Skalova: DER STURZ DER KOMETEN UND DER KOSMONAUTEN

aus dem Französischen von Marina Skalova und Frank Weigand

            Ein Stück über Liebe, dieses « oberflächlichste und ungenaueste Wort », wie Bernard-Marie Koltès als Motto des Stückes sagt.

Drei Tage, vier Nächte – und ein paar Milliarden Lichtjahre – auf den Strassen von Berlin nach Moskau, wo Vater und Tochter versuchen, einander zu verstehen. Vielleicht. Ein bisschen.

Der Vater, Doktorand in der UdSSR, hat in Frankreich, kurz vor dem Fall der Berliner Mauer, keine interessante Arbeit gefunden und musste sich mit temporären Aufenthaltsgenehmigungen herumschlagen. Das vermeintliche Paradies hat sein Versprechen nicht gehalten. Heute ist er Geschäftsmann, Import-Export – das heisst, dass er in Westeuropa für russische Kunden Autos kauft und diese nach Russland fährt. Die Tochter, zweite Einwanderergeneration, als Kind nach Frankreich gekommen, hat nur noch lückenhafte Erinnerungen an ihre ersten Lebensjahre in der Sowjetunion. Sie arbeitet an ihrer Dissertation, ist voll integriert, hat aber nur wenig Verständnis für die Probleme und die Sichtweise des Vaters – der ihr wiederum ihr allzu französisches Wesen vorwirft. Vor der Wende war alles einfach: Es gab die Sowjetpropaganda und diejenige aus dem Westen. Und da man erstere als Lüge ansah, glaubte man zwangsläufig, dass letztere die Wahrheit sei. Die Tochter (er)lebt jedoch heute einerseits eine Ernüchterung, andererseits eine Befreiung: Der Westen ist auch kein Paradies, aber sie profitiert von den Möglichkeiten und der Freiheit der neuen Epoche. Eine Freiheit, die den Vater, der nie gelernt hat, aus Dutzenden von Wurstsorten oder Uniabschlüssen auszuwählen, überfordert.

Stückweise, durch freie Assoziation, erzählt der Vater seine Geschichte, die Geschichte der Familie, vor und nach dem Umzug in den Westen. In parallelen Monologen von Vater und Tochter erfahren wir auch einiges über das, was sie einander nicht sagen, was sie aber beschäftigt: Er möchte in Moskau nicht nur Autos verkaufen, sondern auch seine Einsamkeit mit einer jungen Mascha-Irina-Julia-Olga-Tatjana-…, die er über ein Dating-Portal kontaktiert, vergessen. Sie versucht, mit dieser Reise eine fehlgeschlagene Liebesgeschichte zu vergessen. Der Dialog ist nicht einfach, aber auch wenn sie sich oft streiten, kommen sie sich etwas näher. Ein letzter, diesmal reeller, Crash auf der Landstraße Minsk-Mogilev, um Punkt 12 Uhr « sprengt die Familienkonstellationen »: Ende der Familie, Vater und Tochter sind atomisiert. In der nächsten Szene treiben « Er » und « Sie » im Weltraum – wie auch Phrasen und Sätze, die sie durchs Stück hindurch gesagt haben: Remix Vater, Tochter und ihre Worte. Fazit: « Wir werden allein geboren wir sterben allein die restliche Zeit basteln wir Pflaster ».

Das Stück ist in einer rhythmischen und musikalischen Sprache geschrieben, und, wie bei einer Partitur, zeigt die Typographie Veränderungen in Rhythmus und Skandierung an. So sind etwa die beiden Szenen « Kata-Strophen I&II » und « Kata-Strophen III » in Textblöcken geschrieben: Vater und Tochter reden in einer Art « Stream of consciousness » aneinander vorbei, in diesen Texten ist der Klang der Worte wichtiger als ihre Aussage, wo die Bilder und Metaphern (Parallelen zwischen Drogen und Liebe, Anziehung und Abstossung von Planeten und Menschen, Endorphine und Gefühle, …) ineinander verwoben sind. Die Übersetzerin-Autorin hat, mit ihrem Mitübersetzer Frank Weigand, einen rhythmisch ebenso dichten Text auf Deutsch erschaffen. Man hat das Gefühl, dass Skalova und Weigand Passagen des französischen Textes in Puzzleteile zerlegt haben und damit auf Deutsch, durch Ideenassoziationen, ein neues Textbild kreiert haben, das dem Original ähnelt und ähnliche Klangbilder hervorruft. Ein Beispiel:

« craving crave creusent trachées l’estomac tranché traversées d’acide façon détergent ménager déteint donc en dedans détériore donc dedans craving crave le temps n’est pas un critère seule compte l’intensité le temps te cratère le temps te crevasse tu te cramponnes craving crave ton crâne crépite l’estomac scarifié craving crève les caresses te criblent sa langue creuse encore creuse lacère sa langue plus qu’un souvenir sa langue lacère te crible coups de cravaches creuse encore »

« craving crave Krätze im Magen Ritzen in den Röhren von Säure verätzt craving crave die Zeit kein Kriterium einzig zählt die Intensität die Zeit gräbt Krater in dich seziert zerreißt zerfetzt du klammerst dich fest craving crave der Magen voller Zacken der Kopf zerhackt craving crave krepier doch zerfall doch seine Zunge zerteilt dich zärtlich seine Zunge zerfurcht zerfranst gräbt sich in dich hinein grabe weiter grabe »

Die Musik der Sprachen ist auch da: Neben einigen Einsprengseln auf Englisch und Französisch ist es vor allem Russisch, das den Text phrasiert. Die Leserin, der Zuschauer haben selten eine Übersetzung oder Erklärung des Ausdrucks – es geht mehr um die Musik als um den genauen Sinn. Je näher sie an Moskau sind, je tiefer sie sich in die Familienpsyche eingraben, desto mehr Russisch schleicht sich in den Text – als ob das familiäre Unterbewusste allmählich auftaucht. Musik ist auch als solche omnipräsent: Vielen Szenen ist sozusagen ein « Titelsong » vorangestellt. Die Autorin lässt die Regisseur*innen entscheiden, ob sie die Musik ins Stück einbringen wollen oder nicht – aber dieses bildet, für Skalova, « das Unterbewusstsein des Textes ». Was die Liedtexte – die Teil des Textes sind – betrifft, empfiehlt die Autorin, « sie zu singen, zu rappen oder zu brüllen ».

« Ein Typ gibt einem Juden einen Globus und sagt zu ihm: Stell dir vor, du kannst dir aussuchen, wo du leben willst. Der Jude sieht den Globus ernst an. Er denkt nach. Er dreht ihn hin und her. Nachdem der Jude den Globus genau angeschaut hat, blickt er auf und fragt den Typen: Hätten Sie vielleicht noch einen anderen Planeten? »

(Ausschnitt aus DER STURZ DER KOMETEN UND DER KOSMONAUTEN von Marina Skalova)

Marina Skalova | Foto: Sandra Hildebrandt

Katharina Stalder: Wie sehr ist dieses Stück autobiographisch?

Marina Skalova: Der Weg von Deutschland nach Moskau über Weissrussland, wie er im Stück beschrieben wird, ist eine Route, die mein Vater tatsächlich über Jahre hinweg zurückgelegt hat. Fünfundzwanzig Jahre später wollte ich die Reise mit ihm machen. Die ersten Szenen des Stücks habe ich in jenem Moment geschrieben. Aber Elemente, die aus meinem möglichen Erlebten geschöpft sein könnten, sind vermischt mit anderen Elementen, die ich teils erfunden und teils aus Gesprächen mit Drittpersonen entnommen habe. Im Schreibprozess verwandeln sich erlebte Elemente in Sprache und somit in Fiktion. Der Wirklichkeitsbezug scheint mir nicht das Wesentlichste. Wirklich wahr aber ist der Eindruck, dass ich den Zusammenprall zwischen zwei Repräsentationssystemen der Welt stets in meinem eigenen Körper empfunden habe. In der Welt, aus der ich stamme, existiert das Private nicht. Die Idee, etwas für sich selbst zu machen oder individuelle Entscheidungen zu treffen, erscheint undenkbar und egoistisch, während unsere ganze westliche Konzeption gerade darauf beruht. Ich wollte dieses Hin- und Hergerissensein darstellen, und auch die Schwierigkeit, sich im Leben zurechtzufinden, wenn alle Werte, in denen man erzogen wurde, verschwunden sind.

KS: Wie fühlt sich das an, einen eigenen Text zu übersetzen? Wie seid ihr vorgegangen, Frank Weigand und du? Wie habt ihr euch die Arbeit geteilt? Wie die definitive deutsche Fassung erarbeitet?

MS: Wenn ich meine Texte schreibe, gehört das Übersetzen oft für mich zum Schreibprozess dazu. Mein erster Lyrikband, Atemnot (Souffle court), war zweisprachig. Das Buch beschäftigte sich mit der Verwandlung eines Textes in die andere Sprache, mit Möglichkeiten und Grenzen der Übersetzung. Bei der Übersetzung des Stücks ging es zunächst darum, andere Sprachbilder zu finden, die sowohl auf semantischer als auch auf klanglicher Ebene stimmig waren. Frank Weigand hat eine erste Fassung erarbeitet, ich habe dann ganz viel reingeschrieben und wir haben uns den Text solange hin- und her geschickt, bis er für uns beide funktionierte. Ich bin als Autorin zunächst freier mit dem Text umgegangen, habe manche Szenen komplett umgeschrieben, versucht, Klang und Rhythmus wieder zu finden. In diesem Freiraum haben Frank und ich dann Ping-Pong gespielt. Spannend ist für mich, dass sich beim Übersetzen immer wieder Fragen auftun, die ich auch zurück an den Originaltext stelle. Das ist ein unendlicher Austauschprozess.

KS: Kannst du etwas mehr über die Musik – das Unterbewusstsein des Textes – sagen?

MS: Die Idee, dem Text eine Playlist hinzufügen, gefiel mir gut. Das Konzept des « Unterbewussten » des Textes ist aufgetaucht, als ich mit der Regisseurin Nathalie Cuenet, die die Uraufführung im POCHE/GVE in Genf gemacht hat, über das Theaterstück redete. Sie sagte mir, dass sie nicht alle vorgeschlagenen Musikstücke übernehmen wolle, dass sie lieber ihre eigene Tonspur kreieren würde – aber dass ihr die musikalischen Angaben wertvolle Hinweise über die Atmosphäre der einzelnen Szenen gäben. So ist diese Anmerkung zu verstehen. Die meisten Musikstücke geben der Szene eine Färbung und einen Rhythmus, sie widerspiegeln die seelische Welt der Figuren, in Ost und West geteilt. Der Text ist von einer Abfolge von Rockmusik, russischen und westlichen (amerikanischen und französischen) Schlagern geprägt; man findet hier den Kalten Krieg wieder. Die Russen kennen heute die westlichen Musik mehr oder weniger gut, das Gegenteil ist selten der Fall … Beim Übergang ins kyrillische Alphabet passieren wir auch heute noch einen eisernen Vorhang …

KS: Was genau bedeuten für dich die Kosmonauten und die Kometen des Titels?

MS: Das Stück geht von zwei Bildern aus: der Sturz der Kosmonauten, Sinnbilder der UdSSR, und derjenige der Kometen, die den Blitzschlag aus heiterem Himmel der Verliebten symbolisiert. Diese Bilder sind der Antrieb, der Rest entspinnt sich von da aus. In der UdSSR sind die Kosmonauten ein wichtiges Motiv der Vorstellungswelt, das in der urbanen Geografie, in Kinderbüchern und in der populären Mythologie allgegenwärtig ist … Ich wollte das Thema diese Weltraumutopie aufgreifen und daraus einen möglichen Horizont machen. Im Stück ist die Flucht in den Weltraum das, was den Figuren einen Öffnungsraum, eine Flucht und vielleicht eine Utopie erlaubt – sowohl im Kopf als auch konkret. Wie im jüdischen Witz, der im Stück zitiert wird, können sie ihren Platz in der Welt nur auf einem anderen Planeten finden. Was die interstellare Dimension des Stücks betrifft, würde ich sagen, dass mich die poetische Kraft der wissenschaftlichen Phänomene fasziniert. Ich schreibe vor einem Hintergrund von Bildern, die sich gegenseitig erzeugen, sich verweben und so wachsen. Der Weltraum ist ein weiter und starker Raum, der ganz sichtbar das Mikro- und Makroskopische aufeinanderprallen lässt – und so das, was uns Angst macht oder zu gross für uns ist, logisch erscheinen lässt. Die Weltraummetaphern können auf diese Weise sowohl die Anziehung als auch die Aufsplitterung erklären, so dass ich mit ihnen gleichzeitig über Liebe, Auseinanderbrechen und Individualisierung schreiben kann. Genau wie die Fels-, Metall- und Eisblöcke des Stücks, werden die poetischen Bilder aufgesprengt, verfestigt und wieder zusammengesetzt.

von Katharina Stalder

Frédéric Sonntag: B. TRAVEN

übersetzt aus dem Französischen von Yvonne Griesel

Frédéric Sonntag | Foto: www

Der Autor

Der französische Autor Frédéric Sonntag nennt sein Stück B. TRAVEN ein Kaleidoskop. In seinem umfänglichen Text geht Sonntag der Frage nach, wer der mysteriöse Autor B. Traven war, über den so wenig Eindeutiges bekannt ist. In fünf mit einander verwobenen Erzählsträngen umspannt das Stück ein ganzes Jahrhundert vom ersten Weltkrieg und von der Münchner Räterepublik bis ins 21. Jahrhundert. Eine Erzählfigur führt durch ein weit aufgespanntes Panoptikum von Geschehnissen zwischen 1917 und 2009, ein Jahrhundert voller Ideologien, Revolutionen, Kriegen, Exilen, von Scheinwahrheiten, Legenden und blanken Lügen.

Ein Boxer-Dichter geht nach Amerika; ein Drehbuchautor im antikommunistischen Hollywood wird 1949 von der Bundespolizei unter Druck gesetzt; eine Filmemacherin will eine Dokumentation über B. Traven drehen und seine Identität klären; linke Hausbesetzer wollen 1994 ein Kino betreiben und verlieren sich in romantischen Utopien, politischen Kostümen und sehnsüchtigen Küssen. Sie starten einen Piratensender, ein Neuer kommt hinzu und träumt von den Zapatistas in Chiapas, da ist wieder von einer der Personas von Traven die Rede. Als nächstes ist B. Traven 1949 ein kommunistisches Kollektiv von Drehbuchautoren im antikommunistischen Hollywood, 2009 blickt eine Frau auf diese Kinobesetzung und ihre Ziele zurück, die inzwischen ganz anders erscheinen als zu zwanzig Jahre früher. Die unermessliche Personnage besteht aus Figuren, die den Schriftsteller vielleicht gesehen haben, vielleicht er waren oder ihm ihrerseits auf der Spur sind; ist er vielleicht sogar Leo Trotzki? Schließlich verbindet sich die Geschichte des mysteriösen Mannes mit einer ganz großen Verschwörungstheorie der Einflussnahme der Vereinigten Staaten von Amerika auf revolutionäre Bestrebungen durch Übersättigung der Bevölkerung mit Zucker in Form von Coca-Cola, das die revolutionäre Stimmung quasi als Droge dämpft. Und dann ist da 1977 noch der Dokumentarfilm über B. Traven von Lester und Glenda, in dem sie ihm auf die Spur kommen wollen. „Warum versteckt man sich sein Leben lang hinter lauter Masken?” fragt Glenda, „Woher kommt dieses absolute Beharren auf Anonymität? Das ist das Thema unseres Films, Lester.” Es ist auch das Thema dieses Stücks.

Der Autor Frédéric Sonntag, ein junger Mann mit halblangen, dunkelblonden Haaren, leichtem Vollbart, der freundlich und energetisch in die Kamera blickt.
Plakat der Uraufführung im Nouveau Théâtre de Montreuil

Zig Pseudonyme pflastern seinen Weg, zu viel(e) Leben für eine Person, biografische Ungereimtheiten, Vexierspiele, Projektionen … All diese Metaphern tauchen als Strukturelemente auch im Stück selbst auf: Ein mexikanischer Ringer wird „mit seiner Maske begraben“, die Projektionen finden als zahlreiche Filmvorführungen bzw. als ein zu drehender Film statt, ein Vogel namens Zapata (die Revolution in Chiapas spielt eine Rolle) ist schon tot, hat aber trotzdem noch etwas zu sagen. Der Text verwendet unterschiedliche Formate: Prosaerzählung, Dialogteile, Namensaufzählungen zu Anfang der Szenen, Sprechernarration, Zitate von Trotzki, Traven, Arthur Cravan (dem dichtenden Boxer).

Immer geht es aber auch um Situationen des Umbruchs, der Revolution und ihrem Scheitern, so dass die Revolutionäre fliehen müssen, und irgendwie flieht, wer nicht schon dort ist, immer nach Mexiko. Es herrscht eine Atmosphäre der Undurchsichtig- und Mehrdeutigkeit, die sich auf ein exotisiertes Bild von Mexiko überträgt, das nun alles infiltriert und infiziert, einer träumt vom Partisanenkampf in Chiapas, andere spüren eine Erotomanie vom mexikanischen Boden ausgehen. Das Stück schafft ein Universum der Chimären, der vermeintlichen Wahrheiten, die immer wieder umgestoßen werden, sich ablösen, eine hinter der nächsten.

Mit GEORGE KAPLAN und BENJAMIN WALTER bildet dieses Stück eine Trilogie von Frédéric Sonntag über rätselhafte, verschwundene bzw. fiktive Identitäten.

Frédéric Sonntag, geboren 1978, ist Autor, Schauspieler und Regisseur. Er studierte am Conservatoire National Supérieur Dramatique und gründete 2001 die Theatergruppe AsaNIsiMAsa.

2010 erhielt Frédéric Sonntag den Prix Godot des lycéens für Toby ou le saut du chien sowie den Prix de la pièce de théâtre contemporain pour le jeune public (Bibliothèque Armand Gatti) für Sous contrôle; 2013 wurde sein Stück Sous contrôle mit dem Prix ado du théâtre contemporain (Acamédie d’Amiens) ausgezeichnet.
(rowohlt Theaterverlag)

Die Übersetzerin

Yvonne Griesel, entspannt lächelnd in einem Restaurantstuhl mit Glas auf einem Tisch vor sich
Dr. Yvonne Griesel | Foto: A. Rüttenauer

Yvonne Griesel hat das Stück für den Rowohlt-Theaterverlag aus dem Französischen übersetzt.

Henning Bochert: Was hat dich an dem Text fasziniert?

Yvonne Griesel: Die Konfrontation mit mir selbst, die Frage nach der Bedeutung des Individuums und das Hinterfragen meiner eigenen Moral im Laufe des Lebens, wie Kampf und Werte mehr und mehr in den Hintergrund treten und wo Menschen wie B. Traven, Trotzki und viele andere die Kraft hernahmen, nie aufzugeben. Und natürlich die Frage, ob wir in unserer heutigen Welt noch die Möglichkeit einer Anonymität haben und ob sie uns nicht unter Umständen sehr gut tun würde.

Eine bestimmte Frage hat mich am Rande noch besonders fasziniert, um herauszufinden, wer der Bestsellerautor B. Traven war, wurden unglaublich viele Autoren in Betracht gezogen, aber niemand kam auf die Idee, dass seine mexikanische Frau, die als seine Übersetzerin ins Spanische arbeitete, sich hinter dem Psyeudonym gemeinsam mit ihm verbergen könnte. Komisch und typisch, dass sich diese naheliegende Frage niemand gestellt hat.

HB: Welches waren die besonderen Herausforderungen bei der Übersetzung dieses Textes?

YG: Die verschiedenen Stilebenen, die zwischen den 70er Jahren, den 90er Jahren, Anfang des Jahrhunderts und der heutigen Sprache in schneller Folge wechseln mit wissenschaftlichen Werken und Zitaten von B. Traven, Cavan und anderen Literaten seiner Zeit. Ich mag diese Brüchigkeit, die das Thema des Stückes auf einer weiteren Ebene abbildet und für die Übersetzung eine spannende Herausforderung war.

HB: Wie hat sich die Zusammenarbeit mit dem Autor gestaltet (wenn überhaupt)?

YG: Ich hatte einige Fragen zu den Zitaten, Frédéric Sonntag hat Zitate von B. Traven verwendet, die er auch teilweise leicht bearbeitet hat. Da man ja davon ausgeht, dass die Ursprungssprache Deutsch ist, haben wir hierüber viel korrespondiert. Da wir uns aber noch nicht persönlich getroffen ahben, bin ich sehr dankbar, dass Eurodram uns nun dieses Treffen in Wien ermöglichen wird.

Dr. Yvonne Griesel arbeitet freiberuflich als Übertitlerin, Übersetzerin und Dolmetscherin. Mit ihrer Firma SPRACHSPIEL hat sie sich darauf spezialisiert, fremdsprachige Inszenierung für Festivals und Gastspiele zu übertragen, und arbeitet unter anderem für die Münchner Kammerspiele, die Ruhrtriennale, Theater der Welt, die Volksbühne, das Residenztheater in München u.a.m. (www.sprachspiel.org) Sie übersetzt für Henschel Schauspiel, den Rowohlt Verlag, den Alexander Verlag und Theater der Zeit aus dem Russischen und Französischen. Darüber hinaus ist sie im Vorstand von Drama Panorama e. V. Yvonne Griesel ist Dipl.-Dolmetscherin für Russisch und Französisch und hat zum Thema Übertitelung im Theater an der Humboldt Universität promoviert, wo sie sieben Jahre in der Lehre tätig war. Publikationen: u. a. „Translation im Theater“ (2000, Peter Lang Verlag), „Die Inszenierung als Translat“ (2007, Frank und Timme Verlag). „Welttheater verstehen“ (2014, Alexander Verlag) sowie zahlreiche Artikel in internationalen Fachpublikationen. (Drama Panorama)

von Henning Bochert

Aufruf zur Einsendung von Übersetzungen fremdsprachiger Theaterliteratur

EURODRAM ist ein europaweit agierendes Netzwerk, das sich der Förderung und Verbreitung von Theaterliteratur und deren Übersetzung verschrieben hat.

Das DEUTSCHSPRACHIGE KOMITEE nimmt in diesem Jahr wieder Übersetzungen von Theaterstücken ins Deutsche entgegen,

  • die in dieser Übersetzung bis zum Einsendeschluss noch nicht aufgeführt oder veröffentlicht wurden.
  • Ursprungssprachen können alle anderen europäischen Sprachen bzw. die Sprachen des angrenzenden Mittelmeerraumes und Zentralasiens sein.*
  • Die Übersetzungen sollten nicht älter als fünf Jahre sein; pro Übersetzer/in nehmen wir einen Text an.
  • Auch Verlage sind einsendeberechtigt; Verlage selbst können jeweils max. 3 Texte einreichen.
  • Von der Einreichung bereits in den Vorjahren eingesandter Texte bitten wir abzusehen.

Das DEUTSCHSPRACHIGE KOMITEE wählt aus den Einsendungen drei Texte aus, die 2019 am THEATER DRACHENGASSE/WIEN in szenischen Lesungen und Diskussionsrunden präsentiert werden, möglichst in Anwesenheit der Autoren/Autorinnen und Übersetzer/Übersetzerinnen.

Außerdem vergeben wir in Kooperation mit dem Bundeskanzleramt Österreich unter den in Österreich ansässigen Übersetzern/Übersetzerinnen ein Übersetzungsstipendium in Höhe von 1.300 Euro.

Den zu übersetzenden Text wählt der Übersetzer/die Übersetzerin in Absprache mit dem Deutschsprachigen Komitee aus den vergangenen Selektionen des entsprechenden anderen EURODRAM-Komitees aus. (Einsendungen von Übersetzern/Übersetzerinnen, die nicht in Österreich ansässig sind oder ausdrücklich nicht an dem Stipendium interessiert sind, sind dennoch herzlich willkommen.)

Wir verbreiten und bewerben die ausgewählten Texte gezielt unter Theatermachern und Fachleuten innerhalb und außerhalb des Netzwerks.

Texteinsendungen nimmt die Koordinatorin des Deutschsprachigen Komitees, Ulrike Syha, gerne unter syha@gmx.net entgegen.

Einsendeschluss ist der 10.1.2019.

Im Original auf Deutsch verfasste Texte, die in einer Übersetzung in eine der anderen Sprachen des Netzwerks vorliegen, können bis zum 31.12.2018 an die Koordinatoren des für die Zielsprache zuständigen Sprachkomitees geschickt werden.

Die Adressen finden Sie unter: http://www.eurodram.org

Bitte beachten Sie, dass die Modalitäten der einzelnen Komitees ggf. voneinander abweichen können.

Weitere Informationen zur Arbeitsweise von EURODRAM und zu unseren vergangenen Veranstaltungen und Projekten finden Sie unter: http://www.eurodram.wordpress.com

* Texte, die in einer Variante einer europäischen Ursprungssprache verfasst wurden, die auf anderen Kontinenten gesprochen wird (Amerikanisches, australisches oder indisches Englisch, mittel- und südamerikanisches Spanisch oder Portugiesisch etc.) können leider nicht angenommen werden.

PORTRÄT: Mehdi Moradpour

UNBESCHRIEBENE ORTE

Die Regisseurin Sandra Schüddekopf im Gespräch mit Mehdi Moradpour über seinen Text EIN KÖRPER FÜR JETZT UND HEUTE

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Der Autor Mehdi Moradpour. – Copyright: Neda Navaee

 

Man könnte sagen, dass in „Ein Körper für Jetzt und Heute“ andere Landschaften vorkommen, als wir sie jetzt so kennen, also rein von den sprachlichen Bildern her. Deine Sprache oder die Bilder, woraus speisen die sich? 

In diesem Fall habe ich lange gebraucht für diese Bilder, für diese Landschaften, weil ich auf der Suche war, vor allem nach einem Rhythmus. Also, den Ablauf des Hauptteiles hatte ich mehr oder weniger im Kopf. Das war hauptsächlich am Strand und voller Traumlandschaften. Aber ich wollte auch die Geschichte oder die Aufstiegsgeschichte von Elias erzählen, der aus dem Dorf in die Stadt kommt und dann weiterzieht, in ein anderes Land und in eine andere Landschaft, mit einem anderen Körper. Und immer weiter will. Bei dieser Suchbewegung sind verschiedene Textsorten und Rhythmen entstanden: Flächentext, Monolog, Textkörper oder Figurenrede.

Tatsächlich beziehe ich mich auf eine Mischung aus, sagen wir, ungefähr fünf Großstädten und Dörfern, die ich kenne, wo ich aufgewachsen bin, wo meine Eltern herkommen, Orte in Brasilien und Kuba, wo ich Ähnlichkeiten gefunden habe. Aber ich habe auch mit Absicht ein bisschen scheinbare Widersprüche eingebaut. Also, das sind die realistischen Bilder, die ich im Kopf hatte. Sprachlich verschiebe ich das nur. Ich versuche für das konkrete Bild manchmal noch mal ein Adjektiv oder eine Eigenschaft zu nehmen, die das Bild etwas verschieben. Vulkanschlote und Schneeberge kann es dann zum Beispiel nebeneinander geben oder ein paar Kilometer voneinander entfernt.

 

Es sind im Endeffekt dann keine konkreten Orte, an denen das für dich spielt, sondern eigentlich eher so, wie diese Figur auf der Suche nach einem Körper ist, einem eigenen jenseits von Zuweisungen, funktionieren für dich die Orte im Prinzip auch?

Einerseits sind es konkrete Orte und andererseits universelle. Es ist ja prinzipiell so, dass ich aufgrund meiner Herkunft oder meiner Herkünfte etwas vorsichtig bin. Selbst in Teheran bin ich manchmal jemand, der nicht „ursprünglich“ von da ist, sondern aus dem Norden. Und selbst im Norden waren Teile der Familie meiner Eltern Menschen, die nicht von dort sind, sondern „ursprünglich“ aus der ehemaligen Sowjetunion.

Bei allen Texten versuche ich natürlich eine konkrete Situation zu schaffen. Zum Beispiel geht es in „Türme des Schweigens“ um kommunistische Eltern mit einem muslimischen Hintergrund, die können aber aus 20 Ländern kommen. Ich versuche trotz einer konkreten Situation, eine Universalität zu schaffen. In diesem Fall ist es zum Beispiel klar, dass die Anfangssituation (Transsexualität erlaubt / Homosexualität nicht erlaubt) im Iran spielen kann. Ich denke, es ist in einigen Ländern in der Welt auch ähnlich. Aber ich versuche keine Namen zu nennen. Es geht nicht um Beliebigkeit, sondern um realistische Tatsachen, die keine extra Zuweisungen brauchen. Deswegen es stimmt schon, dass ich versuche, dadurch den Zuschreibungen zu entkommen, zugleich will ich nicht relativieren. Es ist klar, es geht um eine religiöse Familie aus einem islamischen Hintergrund. Der Sohn hat aber einen jüdischen Namen, was oft vorkommt. Und er will am Ende wie ein Jesus auf einem Kreuz liegen. Also irgendwie habe ich auch versucht, Bilder von drei monotheistischen Religionen zu verwenden. Das geschah aber am Anfang intuitiv.

 

Was für eine Vorstellung von Religion ist für dich damit verknüpft?

Judentum, Christentum und Islam haben viele Gemeinsamkeiten. Regeln für das Zusammenleben, Rituale, Symbolik, Grundpflichten oder die Heilsgeschichte: Da überschneidet sich viel. Sie sind seit Jahrtausenden im ständigen Dialog, oder Trialog, gewesen. Oder eben im Streit, im Krieg. Für mich trägt Elija, der sich selbst ab einem gewissen Zeitpunkt sehr prophetisch wahrnimmt, etwas von allen drei Religionen in sich.

 

Die Sprecherpositionen deiner Figuren sind sehr klar, das ist eine Qualität, die der Text hat. Gleichzeitig gibt es sehr viele Themen, die darin vorkommen. Neben der Transsexualität oder der Verwandlung des Körpers wird das Thema des Funktionierens des Körpers, anhand der Notwendigkeit einer Nierentransplantation für eine der Figuren, verhandelt. Man hat das Gefühl, es werden Themen angerissen, und das eröffnet viel Raum, über diese nachzudenken, gleichzeitig ist es nicht so leicht, all diese Ebenen, wenn ich den Text nur einmal höre, zu erschließen. Gibt es für dich eine Vorstellung, wie der Zuschauer als Theaterzuschauer damit umgehen könnte?

Ich versuche erst mal, eine eigene Realität innerhalb des Textes zu schaffen. Eine eigene Gesetzmäßigkeit innerhalb des Textes. Etwas, das kein reines Festland ist. Wahrscheinlich wuchert es deshalb auch ein wenig und es gibt manchmal viele Ebenen, weil jede Realität komplex ist. Irgendwann ist aber klar, welche Hauptthemen es gibt. Wichtig ist für mich die Zugänglichkeit der Zuschauenden zu einem oder mehreren Bereichen.

Ich gebe aber auch gleichzeitig zu, dass ich manchmal Schwierigkeiten habe, permanent zu denken, da sitzen Leute und schauen hin. Das kann mich oft beflügeln, aber manchmal denke ich auch, bestimmte Teile und Landschaftsbeschreibungen gehören für mich zwar dazu, das könnte aber in den Theaterraum nicht so einfach hineinpassen oder zu den Textteilen, die griffiger sind, dann denke ich, dass ist ja auch nicht immer meine Aufgabe, zum Glück.

 

Es gibt ja auch Abschnitte, die ich auf einer atmosphärischen und nicht rationalen Ebene verstehen kann. Trotzdem beschäftigt mich als Regisseurin dieses Wuchern der Sprache und der Themen für eine mögliche Umsetzung auf der Bühne. Auch für eine Übersetzung ist dieser Text ja eine sehr große Herausforderung.

Ja, eine erfahrene Übersetzerin, mit der ich arbeite, hat gesagt, das ist sicher einer meiner schwierigen Texte, aber sie übersetzt ihn gerade ins Englische. Weil es für sie wie eine Reise ist, und ich liebe es, im Prozess der Übersetzung permanent in Kontakt zu sein. Das mache ich auch, wenn ich selbst übersetze. „Mumien. Ein Heimspiel“ wurde ins Italienische übersetzt, da gibt es auch dichte Stellen am Ende und da kam die Übersetzerin mit italienischen Beispielen, und da ich Spanisch kann und sie auch ein bisschen, hat der Austausch gut funktioniert. Irgendwann bin ich darauf gekommen, sie soll sehr frei arbeiten.

 

Ihr seid also über mehrere Sprachen gegangen?

Genau. Ich bin der Meinung, wir müssen Verluste in Kauf nehmen, für mich ist es viel wichtiger, dass der Übersetzer / die Übersetzerin ein gutes Gefühl hat, auch für das Land, wo der Ausgangstext gelesen oder gesehen werden soll.

Mumien hat ja schon im Titel ein Heimspiel. Und es spielt im und in der Umgebung eines Asylbewerberheims. Und diese Doppelung funktioniert natürlich in anderen Sprachen nicht. Ich spiele da außerdem mit den Begriffen „heimlich“, „unheimlich“, „heimelig“, „heim gehen“, „heim sterben“ und habe da auch manche Paarungen erfunden. Und dann habe ich gesagt, versuch mal, wo du kannst, Paare zu bilden, und wenn es nicht geht, dann bilde sie an anderen Stellen. Nicht nur semantisch, sondern auch klanglich.

 

Mich erinnert die Thematik von „Ein Körper für Jetzt und Heute“ auch an A Manifesto for Cyborgs von Donna Haraway, einen Text aus den 80er Jahren.

Elija geht es ja um die Zukunft des Körpers, um die Allianzen zwischen Organismus und Maschine, also um dieses Cyborg-Werden, sich auflösen und in einem unbeschriebenen Ort neu zusammensetzen, zugleich darum, sich eine neue Welt vorzustellen, wo neue soziale Strukturen und Fragen permanent behandelt werden. Denn das ist ein Stück, in dem es primär um die soziale Neugestaltung der Welt geht, als nur um isolierte Identitätskonzepte oder Verschiebung des Menschseins.

 

Noch mal zur sozialen Frage der Körper – der Gedanke, dass so ein technisierter Körper jenseits der Zuschreibungen etwas positiv Grenzüberschreitendes sein kann, spielt ja heute eigentlich keine Rolle mehr, weil die Idee der Optimierung der Körper in den Vordergrund gerückt ist: Da finde ich interessant, dass du dich jenseits der Optimierung mit der Frage beschäftigst, was kann überhaupt ein Ort jenseits der Zuschreibungen sein und wie können wir dort hingelangen. Also mit der Suche nach dem utopischen Moment dieser Körper.

Ja. Ich hatte eine ältere Version, wo der Fokus nur auf rein utopischer Gestaltung lag. Im Laufe des Schreibens ist mir aber dann klar geworden, es wird doch auch eine Geschichte sein, wo Elija scheitert. Weil er prophetische Visionen hat und jeden Einsatz von technischen und medizinischen Mitteln prinzipiell zuerst bejaht, um sein Ziel zu erreichen, scheitert er. Und das öffnet die Debatte, denke ich. Er behauptet, ich vergesse meine soziale Herkunft nicht. Zwar ist meine Cousine eine Reiche, die eine Ölfirma hat, aber ich denke bei der Überwindung der körperlichen Einschränkungen immer an die soziale Frage und neue Allianzen. Er überlegt sich: Wie können wir anhand der Technik neue Widerstandsbewegungen schaffen? Wir hatten eine Lesung in Berlin, und bei der Besprechung lag der Fokus darauf, dass wir die Technik nicht komplett sozial steuern können. Am Ende bin ich an den Punkt gekommen, dass es vielleicht besser ist, dass er – oder sie  daran scheitert, um diese Fragen in den Raum zu werfen.

Bezüglich der technischen Möglichkeiten war es so: Je mehr ich konkretisiert habe, was Elija für seine Utopie haben und wollen könnte, umso mehr merkte ich, die Technik ist schon vor zehn Jahren weiter gewesen, als ich ihn denken lassen könnte. Ich würde sagen, ich belasse das Thema ambivalent, weil es immer so bleiben wird, und zeige damit ein bisschen, dass eine ruckartige utopische Grenzüberschreitung an den Forderungen der Gesellschaft scheitern kann.

Haraway sieht das Cyborg-Werden ja auch positiv, würde ich sagen. Das kann man so vielleicht aus der heutigen Perspektive nicht mehr nur so sehen. Es wird letzten Endes immer eine Mischung aus beidem sein. Utopische Visionen schlagen neue Schneisen, sie zwingen uns, aus dem Gewohnten herauszutreten, um das Gewöhnliche überhaupt erst sehen zu können. Gefahren sind dabei produktive Kollateralschäden.

 

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Illustration zur Uraufführung am Schauspielhaus Wien. – Copyright: Schauspielhaus Wien

IRYNA HERASIMOVICH übersetzt EIN KÖRPER FÜR JETZT UND HEUTE durch Vermittlung von EURODRAM aktuell ins Belarussische; gefördert mit einem Übersetzungsstipendium des Goethe Instituts.

 

KURZBIOGRAPHIE 

Mehdi Moradpour, geboren in Teheran, ist Autor, Übersetzer und Dolmetscher (Farsi / Dari und Spanisch) und lebt seit 2001 in Deutschland. Er studierte Physik und Industrietechnik in Iran und ab 2004 Hispanistik, Soziologie, Amerikanistik und Arabistik in Leipzig und Havanna. 2014 bis 2016 besuchte der den Lehrgang „Forum Text“ der Uni Graz.

Für MUMIEN. EIN HEIMSPIEL bekam er 2015 den Jurypreis des 3. Autorenwettbewerbs der Theater St. Gallen und Konstanz; für TÜRME DES SCHWEIGENS den exil-DramatikerInnen-Preis 2016 der Wiener Wortstätten. Im selben Jahr wurde sein Musiktheaterstück CHEMO BROTHER an der Deutschen Oper Berlin uraufgeführt. Er erhielt 2017 den Christian-Dietrich-Grabe-Preis für REINES LAND.

 

RECHTE:

Suhrkamp Verlag

Kontakt: theater@suhrkamp.de

 

 

 

 

Raoul Biltgen: DER FREIE FALL

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Raoul Biltgen. – Foto: G. Huberty

DER FREIE FALL ist ein Stück für drei DarstellerInnen, das sich mit unerwartet leichten Mitteln dem Thema „Radikalisierung“ annähert. Die Uraufführung fand im Januar 2016 in Wien am Theater Jugendstil statt. Kannst du uns etwas über den Entstehungsprozess erzählen? Wie stark warst du als Autor in die Proben eingebunden?

DER FREIE FALL war ein Auftragsstück vom Theater Jugendstil, das Thema Radikalisierung war vorgegeben. Der leichte Zugang war für mich von Anfang an sehr wichtig, ich habe nach einer Möglichkeit gesucht, die jungen Zuschauer für die Figuren auf der Bühne zu gewinnen, ohne dass sie sie gleich in Schubladen stecken: Nazi, Terrorist. Erst dann lasse ich die Figuren sich allmählich genau da hin entwickeln. Auf einmal sind sie Nazi und Terrorist. Damit erreiche ich, dass die Zuschauer bei der Entwicklung mitgehen und sie nachvollziehen können. All diese Sachen überlege ich mir als Autor, ehe ich das Stück schreibe und zu den Proben freigebe. Aber ich bleibe dabei, ich verfolge, wie in den Proben die Texte aufgenommen werden, ich kann jederzeit etwas ändern und auch auf Wünsche eingehen. In diesem Fall entstand zum Beispiel die Klammer mit den Superhelden am Anfang und Ende aus den Proben heraus, weil ich einen Superhelden-Vergleich geschrieben hatte, mit dem die SchauspielerInnen und der Regisseur nichts anfangen konnten.

 

DER FREIE FALL spielt unter Jugendlichen, das Stück richtet sich an ein jugendliches Publikum im Alter von 12 Jahren aufwärts. Verändert sich deine künstlerische Herangehensweise, wenn du für junge Menschen schreibst? Richtet sich der Text auch an Erwachsene?

Auf jeden Fall richtet sich das Stück auch an Erwachsene. Es gibt für mich keine Altersgrenze nach oben, nur nach unten. Weil es nun mal manche Themen gibt, mit denen Kinder noch nichts anfangen können, oder auch Herangehensweisen, die sich nicht auf ihr eigenes Leben umlegen können. Aber das ist es auch schon, was einen möglichen Unterschied im Schreiben für Kinder, Jugendliche oder Erwachsene angeht.

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Aus der Inszenierung des Theaters Jugendstil, Wien.

 

In den letzten Jahren wird viel über Theater als politischen Ort oder als Ort der politischen Debatten gesprochen. In welchem Verhältnis siehst du deine eigene Arbeit dazu? Ist DER FREIE FALL ein politisches Stück?

DER FREIE FALL ist ein politisches Stück, so wie jedes Stück, das die Gesellschaft behandelt, in der wir leben, auch eine politische Komponente hat. Allerdings hat dies nichts mit Parteipolitik zu tun. Ich sage nicht: So ist es richtig, so ist es falsch (was die Politik ja sehr gerne mal tut), sondern ich versuche, Gedanken und Gefühle von Menschen nachvollziehbar zu machen. Dass dies dazu führt, anderen Menschen offener gegenüberzutreten, sie anders zu sehen, und zwar als gar nicht mal so verschieden, ist gewünschter Nebeneffekt. Und auf jeden Fall gesellschaftspolitisch von Bedeutung.

 

Du stammst aus Luxemburg, lebst aber bereits seit vielen Jahren in Wien. Du schreibst auf Deutsch – hast du deine Stücke auch schon in Übersetzung erlebt? Wenn ja, was waren deine Erfahrungen damit? Und wurde DER FREIE FALL auch schon mal in Luxemburg gezeigt?

Es gibt zwar ein paar wenige Übersetzungen von Stücken von mir, gespielt wurde aber bis jetzt nur eine, und zwar auf Sorbisch. Leider habe ich die Inszenierung nicht sehen können. Ich habe auch ein paar Stücke auf Luxemburgisch geschrieben, die ich dann selbst ins Deutsche übersetzt habe, die Übersetzungen sind aber noch nicht gespielt. DER FREIE FALL war bis jetzt nur in der Wiener Uraufführungsinszenierung in Österreich zu sehen. Da es aber neben der EURODRAM-Auswahl auch auf die Shortlist des Niederländisch-Deutschen Kinder- und Jugenddramatiker-Preises gekommen ist, hoffe ich auf ein wenig Aufmerksamkeit, dass sich auch andere Theater dafür interessieren. Das Thema wäre ja recht aktuell.

 

EURODRAM hat dem Übersetzer Greg Liakopoulos ein Stipendium des Bundeskanzleramts Österreich vermittelt, um den Text ins Griechische zu übersetzen. Wir freuen uns auf die Übersetzung und sind gespannt, welche Reaktionen DER FREIE FALL in Griechenland auslösen wird. In welche andere europäische Sprache hättest du persönlich eine Übersetzung noch interessant gefunden?

Es geht mir weniger um die Sprache als mehr um ein Land, in dem das Stück dann hätte gespielt werden können. Wie würde man auf meine Herangehensweise an das Thema in Ungarn reagieren? Oder in Frankreich? Italien? Wie ist die Situation in den nordischen Ländern? All das würde mich sehr interessieren. Aber ich weiß auch absolut nicht, wie das Thema gerade in Griechenland behandelt wird, ob es vergleichbar mit dem ist, was wir in Österreich und Deutschland erleben. Auch das durch die Übersetzung zu erfahren, wird noch sehr spannend.

 

Du bist ausgebildeter Schauspieler, hast aber auch als Dramaturg gearbeitet und in den letzten Jahren vermehrt als Psychotherapeut. Wie beeinflussen diese unterschiedlichen Berufszweige dein Schreiben?

Dass ich Schauspieler bin, führt dazu, dass ich sicher sehr praktikabel schreibe, sehr nah an den Figuren bin, es geht mir nicht um irgendwelche verkopften Gedankengänge, die ich mir zuhause austüftele, sondern darum, was auf die Bühne zu bringen. Und ich schreibe sicher auch Texte, die den Schauspielern Futter geben, dass sie was zum Spielen haben. Auch wenn sie sich am Anfang immer darüber beschweren, dass meine Sprache so schwer zu lernen ist. Stimmt nämlich gar nicht. Aber da kommen sie dann schon drauf. Die Dramaturgie hat mich Bescheidenheit gelehrt, vor allem als Schauspieler. Es geht in einem Stück nicht nur um die Hauptrolle. Warum sollte es mir dann als Schauspieler immer nur darum gehen, so viel Text wie möglich zu haben. Die Psychotherapie hat mich sicherlich dazu gebracht, ein anderes, wesentlich tiefer gehendes Menschenbild zu (be)schreiben. Ich erkenne viel mehr, wie „normal“ die meisten Leben sind. Und dass eben aus dieser (vermeintlichen) Banalität auch was Ungewöhnliches entstehen kann. Und dass es genau das ist, was interessant ist. Die außergewöhnlichen Menschen, die von vorneherein etwas Spezielles an sich haben, gerade in Film, Fernsehen und Theater die sogenannten „Bösen“, haben nichts mit uns zu tun. Dafür sind es viel zu wenige. Es werden extrem wenige Menschen durch psychopathische Serienkiller in Clownsmasken dahingemetzelt, aber sehr viele von dem Menschen erschlagen, den sie lieben.

 

Das Gespräch führte Ulrike Syha.

 

INHALTSZUSAMMENFASSUNG

In DER FREIE FALL beschäftigt sich Raoul Biltgen mit dem hochaktuellen Thema „Radikalisierung der Jugend“.

Die beiden Hauptfiguren, Karin und Karim, kommen aus dem rechtsradikalen bzw. fundamentalistisch-islamischen Milieu. Die potentielle Rechtsradikale und der theoretische Dschihadist lernen sich beim Tanzen kennen. Karin und Karim erzählen die Geschichte einer möglichen Radikalisierung und die Geschichte einer beinahe unmöglichen Liebe. Klischees und Vorurteile prallen auf-einander und lassen trotz gegenseitiger Anziehung eine wirkliche Annäherung nicht zu.

2 D / 1 H – ab 12 Jahren

Rechte: Thomas Sessler Verlag, Wien (http://sesslerverlag.at/theater/kontakt/)

 

BIOGRAPHIE

Raoul Biltgen, geboren 1974 in Luxemburg, lebt und arbeitet als freier Schriftsteller, Schauspieler und Theatermacher in Wien. Seit 2015 arbeitet er zusätzlich als Psychotherapeut bei der Männerberatung Wien, am Institut für Forensische Therapie und in der Justizanstalt Sonnberg. Raoul Biltgen war schon dreimal für den Glauser-Preis nominiert (2014 und 2017: Bester Kurzkrimi, 2018: Bester Roman). 2017 war er Preisträger des Niederländisch-Deutschen Kinder- und Jugenddramatikerpreises für „Robinson – meine Insel gehört mir“. 2018 war die Uraufführungsproduktion seines Theaterstücks „Parzival“ für den Stella – Darstellender.Kunst.Preis für jungen Publikum nominiert. Zuletzt erschien sein Roman „Schmidt ist tot“ beim Verlag Wortreich.

www.raoulbiltgen.com

www.adamspricht.com

 

 

Akın Emanuel Şipal: EIN HAUS IN DER NÄHE EINER AIRBASE (Weitere Empfehlungen)

von Henning Bochert

Akın Emanuel Şipal | Foto: Max Zerrahn

Akın Emanuel Şipals Stücke spielen anderswo. KALAMI BEACH auf Korfu an einem Traumstrand, SANTA MONICA neben nämlichen Ort auch in Essen und der Türkei, und die Hauptfigur von VOR WIEN landet in Istanbul eigentlich auch nur zwischen.

Da passt es gut ins Bild, dass die Personen in EIN HAUS IN DER NÄHE EINER AIRBASE komplett deplatziert sind, sogar im Aktiv: Sie haben sich deplatziert. Eine Familie aus Deutschland ist in die Nähe der NATO-Militärlagers in Incirlik gezogen, wo sie ein Ferienhaus besaßen, das sie nun dauerhaft beziehen. Die Tochter, späte Teenagerin, ist nicht begeistert, sie wehrt sich gegen die „Entwurzelung“, während die Mutter ihren Geburtsort „Ibbenbüren“ nicht als Identifikationsort sieht, gleichzeitig aber auch ihre „Herkunft nicht als Handicap“.

Irene Kleinschmidt und Siegfried W. Maschek in der Uraufführungsinszenierung am Theater Bremen | Foto: Theater Bremen

Hierher migriert, versuchen sie, ihre Version von Normalität zu leben. Die Figuren heißen Vater, Mutter, Tochter. Das Prinzip von Migration wird rasch erläutert: „Akklimatisierung Akkommodation Akkumulation“. Der Vater verkauft ehrgeizig Solarpanels (ohne Vertriebsstrukur quasi als Hausierer). Nur will sie keiner haben, weil das in Deutschland so innate Bewusstsein für Nachhaltigkeit hier als absurde Schnurre betrachtet wird. Die Mutter therapiert die wohlhabenden Damen aus der Nachbarschaft, die aber nicht begreifen, dass dies ein Beruf ist und kein Hobby und nicht auf die Idee kommen, dass dafür zu bezahlen wäre. Dennoch fühlt sich die Mutter wohl in einer neuen Zugehörigkeit: „Wenn ich in Deutschland einen Fehler mache, ist das nur ein Beweis dafür, dass ich nicht dazugehöre. Wenn ich hier einen Fehler mache, gehöre ich erst recht dazu.“ Also akkommodiert man sich:

VATER
die Couch wurde eingetauscht mit einem Diwan,

TOCHTER
einem, von dem aus man fernsehen konnte

Ständig passiert das Unwahrscheinliche, welches an dem Ort das Normale ist. Irgendwann sitzt unvermittelt der Soldat John auf dem Sofa, der auf der „Airbase“ stationiert ist und nach einem Anschlag von der Mutter ohnmächtig und voller Blut (nicht seinem) aufgelesen und kurzerhand mit nach Hause genommen wird, wo sie ihm erst mal Eier brät. Natürlich geht da was zwischen Tochter und Soldat.

Das Stück lässt sich Zeit. Die 93 Seiten sind vielleicht auch Abbild des neuen Zeitverständnisses der Familie an diesem Ort. Viel Erzählzeit wird verwendet auf die Beschreibung der Landschaften:

TOCHTER
Ein Hof,

MUTTER
eine Farm,

TOCHTER
ein Orangenhain.
(…)

MUTTER
Ein verwahrlostes Anwesen, auf das du zustapfst.
(…)

TOCHTER
Eine Badewanne aus der ein Stück herausgebrochen ist, in einem Bett aus Plastikmüll.

Dieses Tempo gibt dem Stück eine ruhige Kraft wie aus frühen Wim-Wenders-Filmen, vielleicht lustiger. Und nicht von ungefähr, denn Şipal schreibt tatsächlich auch Drehbücher. Er sieht diese Landschaften nicht nur, er verfügt auch über die Sprache, sie uns zu vermitteln, so dass sie zu inneren Landschaften der Verlorenheit, der Gewalt und der Absurdität werden. Doch die Poesie wird immer wieder mit einfachen, großen Sätzen geerdet:

TOCHTER
Also ich habe mich immer sehr wahrscheinlich gefühlt in Deutschland.

MUTTER
Du bist jung, du bist überall wahrscheinlich.

TOCHTER
Was meinst du überhaupt mit unwahrscheinlich?

MUTTER
Dass niemand mit einem rechnet.

Die Sprache arbeitet mit den stärksten Mitteln deutschsprachiger Dramatik, einer Poesie der Lakonie, die Alltagssprache mit Expressionismus auflädt:

MUTTER
Die Palmen schwitzen Kerosin und über die

VATER
gelben Markierungen auf dem Rollfeld

MUTTER
staken wir zum Terminal, warten auf unsere Koffer.

Sie lässt das Stück krass (also mit jähen Wechseln in Sprachregister sowie Handlungsverlauf) und schön daherkommen und vermittelt den sympathischen Eindruck, dass die Sprache Mittel ist, sich mit der grotesken Situation der Figuren zu amüsieren. Da die Figuren selber sprechen, teilen sie dieses Amüsement und werden nicht verraten.

Darüber hinaus verbindet Şipal seine hochkalibrige Sprache mit einem starken Plot und einer vorsichtig epischen Erzählweise, will sagen, die Figuren berichten per prosaischer Mittel wie Inquit-Formeln („sagte sie“, „sagte er“) einem Publikum, das nur wir sein können, von diesen Ereignissen in einem Wechsel von Präsens und Präteritum und erzeugen so eine wiederum sprachliche Distanz zum Geschehen, in dem sie manchmal stecken und dann wieder nicht so sehr. Keinesfalls brutal postdramatisch ist also dieser Text, der auch nicht unbedingt eine bestimmte Ästhetik vorschreibt oder zulässt, sondern die Realitäten des Dargestellten und der Darstellung changieren, was charmant ist. So stellen die Figuren sich die offensichtlichen Fragen auch gegenseitig:

JOHN
Es ist Krieg, die PKK wird ausgeräuchert, was macht ihr hier?

Als John – die nächste Unwahrscheinlichkeit – sich als Theaterautor entpuppt, hat er zwar so lustige wie entscheidende Bildungslücken, doch werden damit auch die für das gebildete deutsche Publikum delektierlichen Selbstreflexionen des Theaters möglich:

VATER
Wie kann das sein, du bist Theaterautor und hast Sechs Personen suchen einen Autor nicht gelesen?

Man ist sich gegenseitig Chor:

MUTTER
Die Sonne dörrt uns, wir trocknen

ALLE
aus.
Kann jemand mal dieses Licht ausknipsen, dieses große, da oben das, genau.

JOHN
Ihr seid echt braun geworden.

Und als wäre es immer noch nicht genug (es ist nie genug), fantasiert der vom Anschlag noch delirierende John in einem großen dramaturgischen Wurf zudem von Kriegen anderer Epochen, die an diesem Ort herumgeistern: Er berichtet von einem früheren Feldzug gegen die Assyrer, von der Vernichtung der Stadt Babylon. Das stellt das so heutige Geschehen in einen sehr großen Kontext und macht wiederum das Stück größer. Mit den Figuren laufen wir durch uralte Kulturgeschichte, durch Ursprünge, erodierte Menschheitsgeschichte, nur um gleich wieder mit besten Kalauern im Politischen zu landen:

MUTTER
Wo ist dein Hemd?

VATER
Sie haben es.

MUTTER
Wer?

VATER
Die Mudschahedin.

TOCHTER
Papa.

VATER
Ach Mäuschen, die Steppe hat es in sich.

ALLE
Es ist Krieg da draußen.

MUTTER
Mudschahedin, was heißt das?

VATER
Bildungsversager aus Wanne-Eickel.

Mitunter wird aus dem Koran gelesen, aber das heilige Buch ist nicht so unheilig, fremd und banal, wie den säkularen Deutschen der ganze Ort fremd ist, eine Geschichte, etwas Ge- oder Erfundenes.

Und damit sind wir auch bei dem Grund, der mich dieses Stück zuallererst empfehlen ließ. Hier wird einem dezidiert deutschen und deutschsprachigen Publikum, dem durchschnittlichen Theaterpublikum, eine Perspektive vorgehalten, die dieses Publikum in der Regel nur von außen kennt: die Migration in die Fremde. Das Fremde wird bei aller Gewalt und Feindlichkeit aber nicht als bedrohlich, sondern als absonderlich dargestellt, denn diese Familie sind ja ausnahmsweise nicht die anderen, sondern das Publikum selbst. Diese Familie will es ja wissen. Hinein geht sie in die Gefahr, vor der diejenigen, über die in Deutschland Migrationsstücke handeln, fliehen. Das ist nicht tragisch oder brutal, sondern grotesk und durch die atemberaubende Sprache Şipals, gnadenlos und schön wie die Wüste. Fremd, karg, auch gewaltig, aber nie exotisch, denn es liegt darin eine Kenntnis des Beschriebenen und eine Chance zum Verstehen, eines Verstehens, das verändert. Die Fremdheit wird dem hiesigen Publikum mit allen Fertigkeiten des Theaters durch die eigenen Augen vermittelt. Die bewährtesten Register werden gezogen, und die Expertise, mit der das geschieht, lässt das Stück groß werden und vermeidet den Ermüdungseffekt des bereits Bekannten.

Der Schluss der Geschichte thematisiert sich postmodern selbst:

TOCHTER
Hier.

JOHN
Hier endet.

MUTTER
Ja hier,

TOCHTER
endet.

VATER
Unsere

TOCHTER
Geschichte.

MUTTER
Unsere Geschichte endet mit Gott?

JOHN
Warum nicht? Gott ist überall.

VATER
Naja,

TOCHTER
unsere Geschichte endet mit einem spirituellen Ereignis.

MUTTER
Das klingt schon besser, danke.
(…)

JOHN
Und jetzt? Wie endet es? Hey, das ist nicht meine Geschichte, ich bin nur eine militärhistorische Arabeske.

EIN HAUS IN DER NÄHE EINER AIRBASE wurde am 02.02.2018 von Frank Abt am Theater Bremen uraufgeführt (Verlag: Suhrkamp Theater Verlag).

Akın Emanuel Şipal, 1991 in Essen geboren, studiert Film an der Hochschule für bildende Künste Hamburg. In der Spielzeit 17/18 arbeitet er als Gastdramaturg und Hausautor am Theater Bremen.

Dominik Busch: DAS RECHT DES STÄRKEREN

von Wolfgang Barth

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Der Autor Dominik Busch – © M. Zerrahn.

Ein Mann zieht seine Bahnen durchs blaue Wasser des Schwimmbads in seiner Privatresidenz. Der Strich auf seiner Badekappe leuchtet, vielleicht in Rot. Ein anderer Mann wird auf einem Dorfplatz in Kolumbien in grausamer Weise massakriert. Der Platz wird rot von Blut sein. Eine Frau fragt sich, ob sie Ähnlichkeit mit ihrem Vater hat, und entdeckt, als sie nach einem fürchterlichen Verrat im Spiegel des Hotelaufzugs ihr Gesicht betrachtet, eine rote Ader in ihrem rechten Auge.

Die drei Personen haben etwas miteinander zu tun. Der Zusammenhang wird durch das Theaterstück Das Recht des Stärkeren von Dominik Busch (http://www.suhrkamp.de/autoren/dominik_busch_14587.html) hergestellt. In ihm dreht Nadja einen Dokumentarfilm über die Geschäfte ihres Vaters Erik (den Schwimmer), der mit dem Kohleimport aus Kolumbien viel Geld verdient. Nadja möchte die Opfer in den Fokus nehmen und Àlvaro, die dritte Person, ist Mörder und Opfer. Der Film im Stück und das Stück selbst aber haben unterschiedliche Aussagen, was mit der Aufgabe der Kunst zusammenhängt, worüber Nadja und Simon, der den Filmschnitt vornimmt, streiten. Der paramilitärische Kommandant Diego Cuarento schließlich verkörpert die Gewalt, die zur Durchsetzung der profitablen Wirtschaftsziele notwendig ist, und illustriert das Motto von John Locke: Wenn der Stärkere „keinen anderen Anspruch [hat] als den, welchen bloße Gewalt dem Stärkeren über den Schwächeren gibt, [wird] der Stärkste ein Recht haben, alles an sich zu reißen, was er will“.

Die Wirklichkeit ist nicht einfach das, was man sieht. Brechts Satz, dass über das Fleisch, das in der Küche fehlt, nicht in der Küche entschieden wird, hat ungebrochen Geltung. So erklärt Nadja ihrem Vater, dass es in diesem Fall um einen „Film über eine Frau [geht], die herausfindet, woher das Fleisch kommt“. Sie hat aber nicht in Schlachthäusern gefilmt, sondern in kolumbianischen Steinkohleminen. Es geht also darum, die Zusammenhänge zu zeigen und die Schuldigen zu benennen.

Für ihren Film braucht Nadja als Zeugen Àlvaro, der als Täter unter dem Kommando Diego Cuarentos bei der Räumung eines Dorfes zum Zwecke der Errichtung einer Kohlemine eine ganze Familie erschossen hat und der auch berichten kann, wie man ein Klima von Angst und widerstandsloser Resignation schafft: Auf einem Dorfplatz wurde ein widerspenstiger Bauer vor den Augen der versammelten Dorfbewohner grausam mit der Kettensäge hingerichtet. Nadja möchte die Aussage anonymisiert filmen, aber Àlvaro besteht auf dem offenen Geständnis, weil nur so der Teufelskreis von Angst und Schweigen durchbrochen werden kann und weil er als alleinstehender Mann nur um sich selbst fürchten muss. Dies wird ihm später zum Verhängnis. Àlvaro ist inzwischen Familienvater geworden und möchte, dass sein Bericht aus dem Film geschnitten wird. Nadja verspricht es, hält aber, um den Film zu retten, das Versprechen nicht. So wird Àlvaro von Diego aufgespürt und erleidet dasselbe Schicksal auf dem Dorfplatz wie der hingerichtete Bauer.

Die einundzwanzig Szenen des Stückes zeigen darüber hinaus viele Details, u.a. den ersten Besuch Nadjas seit sechs Jahren in der Villa ihres reichen Vaters; die Erschießung der Bauernfamilie mitsamt des Säuglings durch Àlvaro; Nadjas Vater, der im Schwimmbad seine Bahnen zieht; die Exhumierung der Opfer; die Rechtfertigung der Geschäftspraktiken des Vaters aus seiner Sicht; Erläuterungen Diegos zu Kolumbien, die unter die Haut gehen, und eine symbolhafte Schlüsselszene zur Klärung der Schuldfrage.

Durch ihren Platz am Anfang, in der Mitte und als letzte Szene des Stückes (und gleichzeitig des Films) bekommt die Schwimmbadszene ein besonderes Gewicht. Nadia sieht im Vater, in seiner Rolle als Vertreter einer Gruppe, den Schuldigen. Man sieht es ihm nicht an. Die Szene enthält keinen Kommentar. Die Fußsohlen des Schwimmers sind weiß. Bei der Vorstellung der Premiere trifft Nadja aber eine eindeutige Aussage: „Mein Vater – sieht das alles ganz anders. Sie werden sehen, dass der Film von ihm handelt.“ Der Film hat sein Ziel erreicht und die Schuld sichtbar gemacht. Danach ist der Vater der Mörder.

Die Schwimmbadszene als letzte des Films ist aber nicht die letzte im zeitlichen Geschehen des Stückes. Dort bildet die vorletzte Szene den Schluss der Handlung: die Hinrichtung Àlvaros, die aber im Film nicht vorkommt. Für seinen Tod trägt Nadja die Verantwortung: Sie hat ihr Versprechen gebrochen und für ihren Film Àlvaro verraten. Sie reiht sich mit ihrem Vater ein in die Reihe der Schuldigen und hat so im Ergebnis ihrer Handlungen doch etwas Gemeinsames mit ihm, obwohl sie das Gegenteil will.

Ist es denn nicht möglich, etwas gegen die grausamen Verhältnisse der Ausbeutung und Gewalt zu unternehmen, ohne selbst Schuld auf sich zu laden? Nadja verfolgt klare und hehre Ziele: „Ich will keinen Film, der sagt: Die Welt ist grau; ich will keinen Film, der relativiert; ich will einen Film, der Stellung bezieht, gegen die Rohstoffhändler, gegen die Paramilitärs, gegen Ausbeutung, gegen Gewalt und für die Menschen dort.“ Deshalb soll eine Szene, in der ein Junge seinen Esel streichelt, in den Film gesetzt werden, eine andere aber, in der ein Mann sein Pferd schlägt, nicht. Und deshalb soll Àlvaros Zeugenaussage im Film bleiben.

Simon, der Mann, der die Schnitte macht, die eine Welt entstehen lassen, und somit die höchste moralische Instanz des Stückes darstellt, widersetzt sich: „Nein, so einen Film können wir nicht wollen. Du hast recht: Es gibt ein Grau der Indifferenz, der Ignoranz, ein Grau des Mir-doch-egal; aber es gibt auch ein Grau der Differenziertheit und der Verantwortung, ein Grau der freien Entscheidung, bei dem man dem anderen die Möglichkeit lässt, selber zu wollen, was man ihn gerne wollen sehen möchte.“ Wäre Nadja nach diesem Hinweis nicht einfach zur Tagesordnung übergegangen, dann hätte sie Àlvaro nicht verraten und Simon nicht die Lüge auftischen müssen, Àlvaro habe dem Verbleib seiner Aussage im Film zugestimmt.

Diego, der Kommandant der Mördertruppe, erteilt Nadja zur Erhellung der Frage, ob denn nun Kolumbien schön sei, eine ähnliche Lehre: Er stellt sie vor die Entscheidung, entweder bei der Erschießung von zehn Aufständischen zuzusehen oder einen von ihnen mit eigener Hand zu erschießen und so die Freilassung der neun anderen zu erreichen. Anscheinend kann Nadja auch hier beim Versuch, ihr Ziel zu erreichen, ihrer Schuld nicht entkommen. Das Stück lässt offen, wie sich Nadja verhält. Auch im Film kommt diese Szene nicht vor. Nach Simons Ansicht ist es kein guter Film. Die Szene, in der der Mann sein Pferd schlägt, hätte dazugehört, weil „die Welt nicht schwarz und weiß ist.“

In der Wahl der formalen und sprachlichen Mittel meistert Dominik Busch die Synthese der von Brecht und Lukács diskutierten Antinomie von „Reportage“ und „Gestaltung“, indem er beide Genres bedient: Zwar überschneiden sich beide ständig und die Übergänge sind plausibel, die Filmszenen sind aber mehr der „Reportage“ verpflichtet, die erlebten Szenen des Stückes außerhalb des Filmes mehr der Gestaltung. So zum Beispiel die Szene mit dem Erschießungskommando (neben den Szenen, in denen Àlvaro spricht, die einzige in Ich-Perspektive), die die konflikthafte Schlüsselerfahrung meisterhaft dem direkten Erleben öffnet und dafür keine chronologische Ordnung braucht. Bei dieser Szene bleibt nicht nur der Ausgang offen, es ist auch unklar, ob Nadja sie überhaupt erlebt hat oder ob es sich um einen alptraumhaften Bewusstseinsvorgang Nadjas zur Verarbeitung der Schuldfrage nach ihrem Verrat handelt.

In Buschs Text sprechen die Bilder. Sie zeigen zum Beispiel schon beim Abschied Nadjas von Àlvaro und seiner Frau, dass Nadja Àlvaro verraten wird. Aber nicht nur wegen dieser Gestaltungskraft ist Dominik Buschs Stück hervorragendes Theater. Es ist auch deshalb gut, weil es im Unterschied zum in ihm enthaltenen Film dem Rat Simons folgt und zu einer differenzierten Antwort auf die Schuldfrage kommt, die weitgehend vom Zuschauer selbst gegeben werden muss. Das Stück liefert hierzu die Voraussetzungen und in gleichem Zuge einen Beitrag zur Frage nach der Aufgabe der Kunst.

Im Rahmen von EURODRAM wird Das Recht des Stärkeren in Kooperation mit Pro Helvetia von Anna Lengyel ins Ungarische übersetzt.

DOMINIK BUSCH, geboren 1979 in Sarnen und in Luzern aufgewachsen, studierte Philosophie und Germanistik an der Universität Zürich und an der Humboldt Universität Berlin. Als ausgebildeter Bassist tourte er zwischen 2004 und 2009 mit seiner Band Leash durch Deutschland, die Schweiz und England. Er ist Autor, Philosoph, Musiker und Hörspielproduzent.

WOLFGANG BARTH ist Übersetzer und Mitglied im deutschsprachigen Komitee von EURODRAM. http://vieuxloup.de

 

 

AKTIVITÄTEN: EURODRAM in Wien

Das Theater Drachengasse in Wien bietet dem deutschsprachigen Eurodram-Komitee zum dritten Mal die Möglichkeit, seine aktuelle Auswahl von für die Übersetzung besonders empfohlenen Theaterstücken zu präsentieren. Aus 85 Einsendungen wurden Mitte März drei im Original auf Deutsch verfasste Theaterstücke ausgewählt, die in jeweils eine andere europäische Sprache übersetzt werden.

Am 16. April um 18 Uhr zeigen wir unsere Auswahl 2018 mit folgenden Stücken und ihren Autoren:

Raoul Biltgen: DER FREIE FALL

Dominik Busch: DAS RECHT DES STÄRKEREN

Mehdi Moradpour: EIN KÖRPER FÜR JETZT UND HEUTE

Im Anschluss an die Präsentationen sprechen wir jeweils mit den Autoren. Moderation der Gespräche: Henning Bochert, Christian Mayer und Ulrike Syha.

Die szenischen Lesungen werden eingerichtet von Sandra Schüddekopf und Milena Michalek nach einem Konzept von Sandra Schüddekopf. Das Programm des Theaters findet sich hier.

R. Biltgen, M. Moradpour, D. Busch | Foto: Bochert

Gefördert durch:

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AKTIVITÄTEN: EURODRAM beim 4+1-Autor*innentreffen in Leipzig

Wie schon 2016 wird das europäische Netzwerk für Dramatik in Übersetzung EURODRAM auch in diesem Jahr wieder beim Treffen junger Autor*innen 4+1 am Schauspiel Leipzig zu Gast sein. Das Festival läuft vom 11.-13. April 2018 und stellt in szenischen Lesungen und Gesprächen junge Autor*innen der Lehrinstitute aus Deutschland, Österreich und der Schweiz vor.

AKTIVITÄTEN: EURODRAM beim 4+1-Autor*innentreffen in Leipzig weiterlesen

Auswahl 2018 aller Sprachkomitees

EURODRAM 2018 – AUSWAHL ALLER SPRACHKOMITEES

العَرَبيّة / Арабский / Arabic
★  عشرة مشاهد ليست عنيفة (Ten scenes not too violent / Десять сцен, не самых насильственных) # Omar Al-Jibaii / Омар Аль-Джибаи
★  عشا العميان (Blind dinner / Ужин вслепую) # Anouar Abdul Moughith / Ануар Абдул Мугит
★  قلعة ملح (Salt Castle / Замок из соли) # Anna Akkash / Анна Аккаш
Հայաստանյան / Армянский / Armenian
★ Ծառի վերջը (The End of the Tree / Конец дерева) # Արմեն Հայաստանցի / Armen Hayastantsi / Армен Айастанци
Белорусский / Belarussian
★ Скура (Skin / Шкура) # Алёна Iванюшанка / Aliona Ivaniushanka
★ Онiкс (Onyx / Оникс) # Максiм Доська / Maksim Dosko
★ Сэкс мне не патрэбен (I don’t need sex / Секс мне не нужен Лёха Чиканос) # Лёха Чыканас / Liokha Chykanas
Bosanski, hrvatski, crnogorski, srpski / Боснийский, Хорватский, Черногорский, Сербский
★ Stela, poplava / Стела, поплава (Stela, the Flood / Cтела, наводнение) # Dino Pešut / Дино Пешут
★ Režim ljubavi / Режим љубави (The Regime of Love / Pежим любви) # Tanja Šljivar / Таня Шливар
★ Bijeli bubrezi / Бијели бубрези (Rocky Mountain Oysters / Бычьи яйца) # Vedrana Klepica / Ведрана Клепица
български / Bulgarian
★ Цикадите (The Cicadas / Цикады) # Мирослав Христов / Miroslav Christov
★ Рокхил (Rockhill / Рокхил) # Катя Караиванова / Katya  Karaivanova
★ На тъмно (In the dark / В потемках) # Сабина Стефанова / Sabina Stefanova
Deutsch / Немецкий / German
★ Der freie Fall (Free Fall / Свободное падение) # Raoul Biltgen / Рауль Бильтген
★ Das Recht des Stärkeren (Law of the Jungle / Закон Джунглей) # Dominik Busch / Доминик Буш
★ Ein Körper für jetzt und heute (A Body for the Here and Now / Одно тело, здесь и сейчас) # Mehdi Moradpour / Мэxди Мурадпур
Ελληνικά / Греческий / Greek
★ Το σπίτι του Ληστή ή οι Δράκοι με τις μακριές ουρές (The Ηouse of the Thief or The Dragons with the Long Tails / Дом вора или драконы с длинными хвостами) # Δέδε Θεώνη / Dede Theoni
★ Ο μπέμπης (Baby boy / Малыш) # Σωτηροπούλου Βίλη / Sotiropoulou Vily
★ Ξενίτης, Κορφούλα μου αργαδηνή (Xenitis my Corfu Girl / Ксения, моя девушка с острова Корфу) # Ράπτη Βασιλική / Rapti Vassiliki
English / Английский
★ Love, Lies and Taxidermy (Любовь, ложь и Таксидермия) # Alan Harris / Aлaн Хapрис
★ Too Long the Heart (Слишком длинное сердце) # by David Hutchison / Дэвид Xачиcoн
★ The Trap (ловушка) # Kieran Lynn / Kиpaн Лин
Español / Испанский / Spanish
★ Mi perra (My Bitch / Моя сука) # Sergio Martinez Vila / Серхио Мартинес Вила
★ No hay papel (No paper / Нет бумаги) # Beatrice Bergamin / Беатрис Бергамин
★ Lo que nunca fuimos (What we never were / Кем мы никогда не были) # Luis Lopez de Arriba / Луис Лопес де Арриба
Français / Французский / French
★ Amir avant (Amir before / Амир до) # Aurianne Abécassis / Ориян Абекасис
★ Delta Charlie Delta (Delta Charly Delta / Дельта Чарли Дельта) # Michel Simonot / Мишель Симоно
★ L’Accident de Bertrand (Bertrand’s accident / Авария Бертрана) # Emilie Leconte / Эмили Леконт
★ Pig Boy 2016-2358 # Gwendoline Soulin / Гуэндолин Сулен
עִבְרִית / Иврит / Hebrew
★ אומרים שהיא תתחיל ביולי (They say she will start in July / Говорят, что она начнется в июле) # דניאל כהן לוי / Danielle Cohen Levy / Даниэль Коэн Леви
★  אמהות שלוש (Mothers three / Матери, три) # להב תימור / Lahav Timor / Лахав Тимор
★  נורא אנושי (Horribly human / Ужасно человеческий) # גילעד עברון / Gilad Evron / Гилад Эврон
Italiano / Итальянский / Italian
★ Acqua di Colonia (Eau de Cologne / Одеколон) # Elvira Frosini & Daniele Timpano / Эльвира Фрозини & Даниэле Тимпано
★ La città che sale (The Standing city / Восставший  город​) # Chiara Boscaro & Marco Di Stefano / Кьяра Боскаро & Марко Ди Стефано
★ Essere bugiardo (To be a liar / Быть лжецом) # Carlo Guasconi / Карло Гуаскони
Magyar / Bенгерский / Hungarian 
★ Titkaink (Our Secrets / Наши секреты) # Béla Pintér / Бела Пинтер
★ Napraforgó (Sunflower / Подсолнух) # Andrea Pass /Андреа Паш
★ Hideg szelek / Eiswind (Cold Wind / Холодный ветер) # Árpád Schilling & Éva Zabezsinszkij / Арпад Шиллинг & Ева Забежинский
Português / Португальский / Portuguese
★ Max e René (Max and René / Макс и Рене) # José Maria Vieira Mendes / Жозе Мария Виейра Мендеш
★ Olhando o céu estou em todos os séculos (When I look up to the sky I am present in all centuries / Глядя на небо, я на все столетия) # Abel Neves / Абел Невеш
★ Cinderela (Cinderella / Золушка) # Lígia Soares / Лигия Суареш
Русский / Russian
★ Dummerchen # Гaл a Узрютoвa / Gala Uzriutova
★ Скрипка (The Violin) # Илья Члaки / Ilya Chlaki
★ Ева (Eve) # Гия Алaвидзe / Giya Alavidze
Shqip / Албанский / Albanian
★ Citycide # Eli Krasniqi / Эли Крacничи
★ Liriologjia (Freedomology / Свободология) # Lirak Çelaj / Лиpaк Чэлaй
★ Një teatër në kërkim të publikut (A theater in search of an audience / Театр в поисках публики) # Ridvan Dibra / Rидвaн Дибpa