Anlässlich der Präsentation der Auswahl 2018 originalsprachlicher Theatertexte am Theater Drachengasse in Wien am 16. April 2018 konnte das deutschsprachige Komitee auch schon die Vergabe der Übersetzerstipendien bekanntgeben.
Die große Frage wurde bis zum Schluss aufgespart: Welches Stück wird von wem in welche Sprache übersetzt?
Biltgen, Busch, Moradpour, Bochert, Syha, Barth | Foto: C. Mayer
Wir freuen uns sehr, nun auch hier bekanntzugeben:
DAS RECHT DES STÄRKEREN von Dominik Busch wird von Anna Lengyel ins Ungarische übersetzt. Die Übersetzung wird von ProHelvetia gefördert.
DER FREIE FALL von Raoul Biltgen wird von Greg Liakopoulos ins Griechische übersetzt. Die Übersetzung wird vom österreichischen Bundeskanzleramt gefördert.
EIN KÖRPER FÜR JETZT UND HEUTE von Mehdi Moradpour wird von Iryna Herasimovich ins Belarussische übersetzt. Die Übersetzung wird vom Goethe-Institut gefördert.
Die Veranstaltung selbst wurde außerdem vom Deutschen Übersetzerfonds gefördert.
Wir gratulieren den Übersetzer*innen und den Autoren und wünschen eine hervorragende Zusammenarbeit. Den Förderern danken wir sehr, dass diese entscheidenden Schritte möglich gemacht werden. Wir sind sehr gespannt, in welche Richtung sich die Arbeiten entwickeln und werden an dieser Stelle berichten.
Wie schon 2016 wird das europäische Netzwerk für Dramatik in Übersetzung EURODRAM auch in diesem Jahr wieder beim Treffen junger Autor*innen 4+1 am Schauspiel Leipzig zu Gast sein. Das Festival läuft vom 11.-13. April 2018 und stellt in szenischen Lesungen und Gesprächen junge Autor*innen der Lehrinstitute aus Deutschland, Österreich und der Schweiz vor.
Am 2.4. 2016 fand im Rahmen des 4+1-Festivals in Leipzig die erste EURODRAM-Veranstaltung mit der Auswahl 2016 statt, eine Kooperation mit dem Schauspiel Leipzig.
Mitglieder des Ensembles sowie Anna Schmidt und Anjorka Strechel als Gäste lasen je zwanzigminütige Ausschnitte aus den Texten, eingerichtet wurden die Lesungen von Mitgliedern des EURODRAM-Komitees selbst.
Besonders gefreut hat uns, dass die Autorinnen Henriette Dushe und Christina Kettering und Maxi Obexers Ko-Autor Lars Studer nach Leipzig kommen konnten und im Anschluss an die jeweilige Lesung einige Fragen zu ihrem Stück und ihren Erfahrungen mit Übersetzungen beantworteten.
Darüber hinaus haben wir nochmal die generelle Arbeitsweise von EURODRAM und die Ziele unseres Netzwerks vorgestellt.
Vielen Dank an das Schauspiel Leipzig für die Kooperation und an alle an der Veranstaltung Beteiligten.
Und natürlich auch einen herzlichen Dank an das Publikum für euer Interesse und zahlreiches Erscheinen, trotz der recht frühen Stunde!
Lesung EURODRAM am Schauspiel Leipzig. (Copyright: R. Arnold)
EURODRAM beim 4+1-Festival
LESUNG 1
Maxi Obexer / Lars Studer: ILLEGALE HELFER.
Einrichtung der Lesung: Katharina Stalder.
Es lasen: Anna Schmidt, Lara Waldow; Loris Kubeng, Markus Lerch, Florian Steffens.
Katharina Stalder bei der Vorstellung des Stückes. (Copyright: R. Arnold)
LESUNG 2
Henriette Dushe: VON EINER LANGEN REISE AUF EINER HEUTE ÜBERHAUPT NICHT MEHR WEITEN STRECKE.
Einrichtung der Lesung: Sandra Schüddekopf.
Es lasen: Anna Schmidt, Bettina Schmidt, Anjorka Strechel, Lara Waldow.
LESUNG 3
Christina Kettering: ANTARKTIS.
Einrichtung der Lesung: Inka Neubert
Es lasen: Bettina Schmidt, Lara Waldow; Loris Kubeng, Markus Lerch.
Moderation: Ulrike Syha
Im Gespräch mit Ko-Autor Lars Studer („ILLEGALE HELFER“). (Copyright: R. Arnold)
Leider konnte bei der Veranstaltung noch nicht bekanntgegeben werden, in welche Sprachen die jeweiligen Texte übersetzt werden. Wir haben die Zielsprachen intern aber bereits festgelegt und sind mit Übersetzern im Gespräch. Die Bekanntgabe erfolgt voraussichtlich Ende April.
Am 16. November 2015 haben wir in Wien am Theater Drachengasse eine weiteres Mal die Auswahl 2015 des Deutschsprachigen Komitees präsentiert – unsere Premiere in Österreich.
Im Theater Drachengasse, Foto: K.Kukelka
Dank einer großartigen Zusammenarbeit mit dem Theater Drachengasse und dank Unterstützung des Bundeskanzleramts und des Polnischen Instituts in Wien war es uns möglich, einige der Autoren und Übersetzer zu der Veranstaltung einzuladen: Małgorzata Sikorska-Miszczuk (Polen) und ihren Übersetzer Andreas Volk, sowie Maria Tryti Vennerød (Norwegen) und ihre Übersetzerin Nelly Winterhalder.
Das Theater Drachengasse (www.drachengasse.at) ist ein kleineres Theater direkt im Zentrum Wiens, das in seinen Spielplänen einen erkennbaren Schwerpunkt auf zeitgenössische Stoffe setzt. Seit Oktober 2014 hat dort Katrin Schurich die Leitung inne, als Regisseurin selbst gut mit der zeitgenössischen Dramatik vertraut. Wir freuen uns sehr, dass wir sie für diese Kooperation gewinnen konnten.
Auf eine kurze Einführung in die allgemeine Arbeit von EURODRAM und seiner Sprachkomitees durch Ulrike Syha (Koordinatorin des Deutschsprachigen Komitees) folgten etwa zwanzigminütige Lesungen der drei Stücke der Auswahl 2015, eingerichtet von Sandra Schüddekopf und Milena Michalek.
Lesung „Eine nicht umerziehbare Frau“, Foto: K. Kukelka
„EINE NICHT UMERZIEHBARE FRAU“ von Stefano Massini (Aus dem Italienischen von Sabine Heymann). (Lauke-Verlag)
Es lasen: Barbara Gassner, Thomas Stolzeti, Felix Kreutzer; Einrichtung: Sandra Schüddekopf
Lesung „Der Koffer“, Foto: U. Syha
„DER KOFFER“ von Małgorzata Sikorska-Miszczuk (Deutsch von Andreas Volk). (Kaiser-Verlag)
Es lasen: Barbara Gassner, Thomas Stolzeti, Alexander Braunshör, Lisa Schrammel; Einrichtung: Sandra Schüddekopf
Lesung „Die Prüfung“; Foto: K. Kukelka
Für die Lesung des dritten Textes ist es den Kollegen in Wien gelungen, eine Kooperation mit einer Schauspielschule in die Wege zu leiten; die Rollen der Schüler in „Die Prüfung“ wurden von jungen Studierenden der Privatuniversität Konservatorium Wien gelesen – eine große Bereicherung.
„DIE PRÜFUNG“ von Maria Tryti Vennerød (Aus dem Norwegischen von Nelly Winterhalder). (TM-Verlag)
Es lasen: Lisa Schrammel, Alexander Braunshör, Teresa Maria Hager, Sören Kneidl, Felix Kreutzer, Eleni Stampfer, Constanze Winkler; Einrichtung: Milena Michalek
Im Anschluß an die jeweilige Lesung stellten sich die anwesenden Autoren und Übersetzer den Fragen der EURODRAM-Mitglieder Henning Bochert und Christian Mayer und des Publikums und gaben Auskunft über ihre Texte, den Vorgang des Übersetzens, neue Projekte und die zeitgenössische Theaterszene in ihren jeweiligen Ländern. Gespräche, die auch nach Ende der Veranstaltung fortgeführt wurden.
Die norwegische Autorin und ihre Übersetzerin im Gespräch mit Christian Mayer; Foto: K. Kukelka
Ein Zuschauer sagte am Ende an der Bar, er habe den gesamten Abend wie eine kleine Reise empfunden durch die unterschiedlichen Regionen Europas mit ihren jeweiligen Themen und Fragestellungen. Wenn sich das hergestellt hat, freuen wir uns natürlich ungemein.
Die polnische Autorin und ihr Übersetzer im Gespräch mit Henning Bochert, Foto: K.Kukelka
Mit dieser Veranstaltung in Wien verabschieden wir uns von der Auswahl 2015, die uns über das Jahr sehr ans Herz gewachsen ist. Wir bedanken uns herzlich bei der Theaterleiterin Katrin Schurich, bei Sandra Schüddekopf und Milena Michalek, den Schauspielern und allen anderen Beteiligten und Unterstützern vor Ort.
Kommende Woche startet die Ausschreibung 2016. Wir freuen uns schon jetzt auf die neuen Texte und die Menschen dahinter.
Über den Start der Ausschreibung informieren wir Sie getrennt auf diesem Blog.
Wir danken dem Nationaltheater Mannheim für die Kooperation, besonders natürlich den lesenden Schauspielern, Inka Neubert und Sandra Schüddekopf für die Einrichtung der Texte, der Autorin Maria Tryti Vennerød und der Übersetzerin Sabine Heymann für die Gespräche, den angereisten Komiteemitgliedern und Zuschauern für ihr Kommen und die lebhafte Diskussion, sowie den beteiligten Verlagen und Agenturen (Per H. Lauke Verlag, Nordiska Agentur, Agencja Dramatu) für ihr Entgegenkommen und Theater Heute für die unterstützende Werbung.
Wir freuen uns schon auf die nächste EURODRAM-Veranstaltung im Herbst in Wien am Theater Drachengasse.
EURODRAM – JAHRESVERSAMMLUNG IN SOFIA / BULGARIEN vom 11. – 14. Mai 2015 Die diesjährige Jahresversammlung von EURODRAM fand im Mai 2015 in der bulgarischen Hauptstadt Sofia statt. Im letzten Jahr waren wir in Prishtina / Kosovo zu Gast.
Organisiert wurde die Jahresversammlung 2015 von der Koordinatorin des bulgarischen Komitees, Gergana Dimitrova, in Zusammenarbeit mit ihrer Theaterorganisation „36 Monkeys“ und einigen weiteren Kooperationspartnern vor Ort (siehe unten).
Unter der Leitung von Dominique Dolmieu kamen die Koordinatoren des deutschsprachigen, französischen (Gilles Boulan), griechischen (Andreas Flourakis), russischen (Bleuenn Isambard), serbo-kroatischen (Karine Samardzija), türkischen (Hakan Silahsizoglu) und ukrainischen Komitees (Neda Nezhdana) sowie einige weitere Komiteemitglieder und Gäste für mehrere Tage zusammen, um die Eurodram-Aktivitäten des vergangenen Jahres und die Pläne für das kommende zu diskutieren und die Stück-Auswahl der einzelnen Komitees vorzustellen.
Vom deutschsprachigen Komitee waren Wolfgang Barth, Henning Bochert und Ulrike Syha dabei.
Da sich in der Auswahl des bulgarischen Komitees in diesem Jahr zahlreiche rumänische Stücke befinden, gab es neben den Arbeitsrunden der Eurodram-Mitglieder auch einen Programmschwerpunkt „Rumänien“ mit Workshops, Buchpräsentationen und anderen Veranstaltungen.
Die „36 Monkeys“ selbst haben mit dem Projekt „Protext“ eine Veranstaltungsreihe ins Leben gerufen, die sich ausschließlich neuer, zeitgenössischer Dramatik und deren Verbreitung in Bulgarien widmet.
Bei „Protext 7“ am 12. Mai 2015 wurde das rumänische Stück „Michaela, Tiger unserer Stadt“ von Gianina Carbunario in einer szenischen Lesung in einer ehemaligen Diskothek vorgestellt. Die „36 Monkeys“ haben eine eigene Präsentationsweise für szenische Lesungen entwickelt: der Text wird für die Schauspieler per Teleprompter eingeblendet und die Zuschauer folgen den Darstellern von Szene zu Szene und Station zu Station – wobei man selbst ohne Kenntnis der bulgarischen Sprache einen plastischen Eindruck vom Stück erhält.
„Michaela, Tiger unserer Stadt“ liegt übrigens auch in deutscher Übersetzung vor.
EURODRAM-Mitglieder bei der Arbeit im „Red House“ in Sofia.
Bei unseren internen Gesprächen haben wir festgestellt, dass sich der Schwerpunkt des Netzwerks im letzten Jahr etwas von Ost nach West verschoben hat. Eine Entwicklung, die mit dem Aktivitätsgrad der einzelnen Komitees zusammenhängt – und mit der Tatsache, dass in einige Sprachen kaum übersetzt wird (und wenn, dann meist keine Dramatik). Beiden Tendenzen möchten wir im kommenden Jahr etwas gegensteuern, indem wir bewusst Kontakte in den kleineren oder nicht-dominanten Sprachgruppen suchen und Übersetzungen in diesem Bereich anstoßen wollen.
Ab Sommer 2015 wird es außerdem eine neue Homepage für das Gesamt-Netzwerk geben, die in mehreren Sprachen verfügbar und mit den Blogs der einzelnen Komitees verlinkt sein soll.
Die EURODRAM-Jahresversammlung 2016 findet voraussichtlich in Istanbul / Türkei statt.
Ulrike Syha, Koordinatorin des Deutschsprachigen Komitees
Buchmarkt in Sofia – aber gibt es hier auch Stücke?
„ProText 7: EURODRAM“
Mit finanzieller Unterstützung von:
Sofia Municipality Programme “Culture”
Ministry of Culture National Fond “Culture” – Programme Mobility
Romanian Cultural
Institute Institut Français – Teatroskop
Kooperationspartner:
EURODRAM
National palace of culture
Red House
Goethe-Institut Bulgaria
Cultural Center of Sofia University „Kl. Ohridsky“
DAS NORWEGISCHE STÜCK „DIE PRÜFUNG“.INTERVIEW MIT MARIA TRYTI VENNERØD, Autorin, UND NELLY WINTERHALDER, Übersetzerin.
Maria Tryti Vennerød
„DIE PRÜFUNG“ spielt in einem Klassenzimmer.Ein Schüler ist der Schule verwiesen worden, und in einer Schule in der Nachbarschaft findet möglicherweise gerade ein Amoklauf statt, möglicherweise verübt von diesem Schüler. Im Klassenzimmer selbst hingegen wird gerade die jährliche nationale Abschlußprüfung durchgeführt, die Anspannung zwischen den anwesenden Schülern und Lehrern ist groß.Maria, kannst du uns etwas über die Entstehungs- und Aufführungsgeschichte dieses Textes in Norwegen erzählen?
Maria Tryti Vennerød: Der Text wurde für DUS 2011 („Den Unge Scenen“, zu deutsch etwa: Die Junge Bühne) geschrieben, ein Jugendtheaterfestival, für das mehrere Autoren je einen Theatertext schreiben, ähnlich wie „Connections“ in Großbritannien. Verschiedene Jugendtheatergruppen im ganzen Land konnten zwischen den sechs neugeschriebenen Texten wählen. Vierzehn Gruppen haben sich entschieden, jeweils ihre Version von ”Die Prüfung” zu zeigen. Ich wollte ein Thema finden, das für Erwachsene genauso Gültigkeit besitzt wie für Jugendliche. ”Die Prüfung” handelt von einer Gesellschaft, die durch Furcht in Auflösung gerät. Das Motiv ist eine Schulklasse in der Mittelstufe, die aus Angst vor einem Schulmassaker auseinanderbricht.
Der Text handelt davon, wie extreme Haltungen entstehen können und wie wir uns zu Abweichlern oder zu denen ”die wir nicht mögen oder verstehen” verhalten, wie wir sie abweisen. Der Text thematisiert auch das Aufbegehren gegen das kulturradikale Erbe der 68er-Generation, wo Antiautorität weitgehend alleinherrschend und selbst wiederum autoritär geworden ist. Vielleicht ist das besonders verbreitet in Skandinavien – dass junge Menschen eine Wut gegen die allgegenwärtige Freundlichkeit der Elterngeneration verspüren – nichts erzeugt große Konsequenzen und darum kann alles normlos und gleichgültig werden. Wenn nichts eine Rolle spielt, kann man sich auch selbst wertlos fühlen. Die Gefahr eines liberalen und antiautoritären Systems liegt darin, dass die Menschen anfangen, nach festen und überautoritären Haltepunkten zu suchen, aus einer Sehnsucht heraus, dass Dinge etwas bedeuten sollen. Auf diese Weise kann es zu idealen Bedingungen für Extremismus kommen. Darüber wollte ich schreiben, in einem Text, der auch für Jugendliche geeignet sein und viele Rollen haben sollte.
„DIE PRÜFUNG“ kommt mit wenigen Worten aus, der Text hat fast etwas Minimalistisches an sich. Dadurch bekommen ganz konkrete Vorgänge manchmal eine nahezu „mystische“ Dimension. Das hat mich persönlich beim Lesen des Textes sehr fasziniert. Man hat immer das Gefühl, unter dem Gesagten liegt noch etwas anderes, eine weitere Ebene, eine andere Geschichte, etwas, das es zu entdecken lohnt.Maria, ist dieser Schreibstil typisch für dich als Autorin oder hat er sich vielleicht aus dem Stoff heraus entwickelt? Oder siehst du dich da in einer norwegischen oder skandinavischen Tradition?
Maria Tryti Vennerød: Knappheit, kombiniert mit Zweideutigkeit ist wohl typisch für meine Theatertexte. Ich bewege mich außerdem gerne an der Schnittstelle zwischen dem Minimalistischem und dem Üppigen, ja Schwülstigen, Burlesken. Ich mag, wenn Texte von gepfefferten, minimalistischen Dialogen zu plötzlichen Ausbrüchen wechseln, mit einer gerne sehr farbenfrohen Sprache. Der Rhythmus und die Musik in der Sprache sind mir wichtig, weil der Rhythmus sich aus der Situation hier und jetzt ergibt und damit für den Untertext wichtig wird. Präzision kombiniert mit Zweideutigkeit, Poesie kombiniert mit dem Burlesken, und am liebsten Geschichten, die aus einer antifaschistischen Grundhaltung heraus erzählt werden – das sind wohl meine Ideale, und die Form trägt selbstverständlich dazu bei, den Grundton in jedem Stück zu erzeugen.
Es stimmt, viele norwegische Theaterautoren schreiben minimalistisch. Die beiden bekanntesten, Jon Fosse und Arne Lygre, schreiben knapper und kühler als ich es selbst tue. Auf die Frage nach meinen Vorbildern habe ich einmal geantwortet, dass das Jon Fosse, Harold Pinter und William Shakespeare sind – und das stimmt, in dem Sinne, dass alle drei Qualitäten besitzen, die mich auf verschiedene Weise inspirieren. Harold Pinter hat für mich dennoch am meisten bedeutet – aber das allerwichtigste ist ja, hinzuhören und seiner eigenen Stimme zu folgen.
Nelly, du hast „Die Prüfung“ ins Deutsche übersetzt und dabei eine sehr flüssige, plastische Sprache gefunden. Ich denke, man merkt, dass du selbst auch Autorin bist. Wie ist es zu der Zusammenarbeit mit Maria gekommen? Was hat dich an dem Text begeistert?
Nelly Winterhalder: Maria hat die Premiere meines ersten norwegischen Theatertextes gesehen und mich gleich am nächsten Tag gefragt, ob ich ihre Texte ins Deutsche übersetzen würde. Ich war zunächst überrascht, ich hatte ja vorher nur meine eigenen Texte übersetzt, aber spätestens nachdem ich „Die Prüfung“ gelesen hatte, gab es eigentlich keinen Zweifel mehr. Wir arbeiten als Autorinnen recht ähnlich, mit großem Bewusstsein für Rhythmus und Sprache, für Zweideutigkeit, und in einer Knappheit, die auch Raum für spielerische Ausbrüche lässt. Kein Wort ist dem Zufall überlassen, jeder Rhythmus trägt dazu bei, den Untertext zu transportieren. Es ist eine große Verantwortung, dieses feine Gefüge zu übersetzen, und war für mich eine tolle Herausforderung.
Vielleicht könnt ihr uns abschließend noch kurz etwas über die zeitgenössische, norwegische Dramatik erzählen. Gibt es im Moment eine lebhafte Szene in Norwegen? Werden auch viele Stücke, die aus anderen Sprachen übersetzt wurden, gespielt? Und wenn ja, aus welchem Sprachraum kommen diese Stücke vor allem?
Maria Tryti Vennerød: Im Laufe der letzten 15 Jahre gab es viel Engagement und die norwegische Gegenwartsdramatik ist aufgeblüht. Es gibt mehr Theatertexte, die Texte haben sich geöffnet und von dem psychologisch-realistischen Erbe Ibsens entfernt. Arne Lygre und andere etablierte Dramatiker, wie ich selbst, schreiben Texte, die man dramatisch nennen kann, in denen sich die Handlung zwischen Figuren in einem Raum abspielt, während sich der Text gleichzeitig deutlich reflexiv zu sich selbst als Theatertext verhält. Andere Autoren haben sich in noch größerem Grad dem postdramatischen Theater verschrieben, sie schreiben für ein Theater ohne Figuren, in dem Illusionen gebrochen und sichtbar gemacht werden – oder es gibt gar überhaupt keine Illusion mehr. Daneben gibt es viele Theaterschaffende, die eigentlich Schauspieler oder Regisseure sind, die ihre eigenen Texte schreiben, oder die ihr Material durch Interviews oder auf andere Art sammeln. Ausländische Texte werden ständig gespielt, vor allem aus Europa. Es wird vor allem aus dem Englischen, dem Deutschen und den anderen skandinavischen Sprachen übersetzt. ”Zwanzigtausend Seiten” von Lukas Bärfuss wurde letztes Jahr auf Oslos grösster Bühne gespielt. Gerade kann man in Oslo u.a. Texte von Mark Haddon (englisch), Rikke Wölck (dänisch), Ivan Virypaev (russisch), David Hare (englisch) und Lars Norén (schwedisch) sehen.
Nelly Winterhalder: Ich lebe seit 9 Jahren in Norwegen, und in dieser Zeit hat sich tatsächlich viel bewegt, vor allem sehen wir eine größere Vielfalt an Texten, wie Maria schon sagte. Durch die Etablierung des ersten Studiengangs für Szenisches Schreiben in Norwegen 2013, durch die Eröffnung des Dramatikkens Hus/Norwegian Center For New Playwriting, durch die Arbeit vieler Dramaturgen, Regisseure und Theater ist der Fokus auf die norwegische Gegenwartsdramatik stärker geworden. Ich wünsche mir dennoch, dass wir noch mehr zeitgenössische Dramatik auch auf den großen Bühnen sehen, eine offenere, fachliche Debatte, mehr Mut zum Risiko von allen Seiten. Aber – wir sind auf einem guten Weg.
Vielen Dank für das Gespräch!Wir freuen uns auf die Lesung am Nationaltheater Mannheim am 31. Mai 2015, wo wir euch und den Text noch eingehender vorstellen werden (Einrichtung der Lesung: Inka Neubert).
Die Fragen stellte ULRIKE SYHA.
Übersetzung der Antworten: NELLY WINTERHALDER.
Nelly Winterhalder
WEITERE INFORMATIONEN ZU WERK UND BIOGRAPHIE:
Maria Tryti Vennerød
Maria Tryti Vennerød, geboren 1978, ist eine der bekanntesten zeitgenössischen Theaterautorinnen Norwegens. Seit ihrem Debüt 2002 wurden ihre Stücke immer wieder an größeren Theatern des Landes gespielt. Ihre Texte wurden zudem in zehn Sprachen übersetzt und in Inszenierungen und szenischen Lesungen auch im Ausland gezeigt, unter anderem in Frankreich (Paris, „La Colline“), Ungarn (Budapest, „Nationaltheater“) und New York („Theatre for the new city“). Sie hat am F.I.N.D Festival der Schaubühne Berlin teilgenommen und eine Reihe von Preisen erhalten, unter anderem den „Ibsen Award“ und den Preis beim Wettbewerb zum „Centennial of the End of the Norwegian-Swedish Union“. Außerdem war sie für den „Hedda Award“ nominiert. Zurzeit arbeitet sie an einem Auftragstext für eine achtstündige Theaterperformance des „Det Norske Teatret“, Oslo, für das auch Lukas Bärfuss und Oleg Begajev einen Schreibauftrag erhalten haben.
Nelly Winterhalder, geboren 1979 in Löffingen (Baden-‐Württemberg), ist Dramatikerin, Schauspielerin und Übersetzerin. Sie studierte italienische Literaturwissenschaft, Germanistik und Theaterwissenschaft in München und Genova (Abschluß: Magister Artium). Ihre Schauspielausbildung erhielt sie bei Artemis Theater in München. Seit 2006 lebt sie in Oslo und arbeitet mit Projekten v.a. in Norwegen und Deutschland. Zur Zeit ist sie Masterstudentin im Szenischen Schreiben an der Kunsthøgskolen in Oslo. Schauspielerin und Regisseurin u.a. am Grusomhetens Teater Oslo, Dansens Hus Oslo und am E-‐Werk Freiburg. Übersetzung einer Reihe von Theaterstücken aus dem Norwegischen ins Deutsche. Ihre eigenen Stücke wurden bislang in Norwegen, der Schweiz, Italien und Nicaragua aufgeführt.
Verlagskontakt: Nordiska ApS International Performing Rights Agency